Das einzige bildhauerische Werk des Philosophen Ludwig Wittgenstein: die 1925–1928 aus Ton geformte Mädchenbüste.

Foto: Dorotheum

"Wiese mit großem Baum und Marterl": Die internationale Schiele Expertin Jane Kallir vertritt die Ansicht, es sei kein von Egon Schiele gemaltes Werk. Kunsthändler Herbert Giese ist hingegen überzeugt, es handle sich um "ein Original".

Foto: Im Kinsky

Die Signatur Egon Schieles und auch die Datierung stammen von fremder Hand, bestätigt auch Herbert Giese in seinem Gutachten.

Foto: Im Kinsky

Als Philosoph genießt Ludwig Josef Johann Wittgenstein, 1889 in Wien geboren und 1951 in Cambridge verstorben, wahrhaft Legendenstatus. Erst jüngst wurde sein Lebenswerk von der Unesco in die Liste des Weltdokumentenerbes eingetragen. Der Nachlass umfasst rund 20.000 Seiten, darunter 83 Manuskripte oder 45 Typoskripte, die in Institutionen in Österreich, Großbritannien, Kanada und in den Niederlande verwahrt werden.

Auch sein Ausflug in die Architektur ist bekannt. Für seine Schwester Margaret Stonborough-Wittgenstein konzipierte eine Stadtvilla, die 1925/28 mit dem befreundeten Architekten Paul Engelmann, einem Schüler von Adolf Loos, realisiert wurde. "Luki", wie ihn seine Schwestern nannten, "zeichnete jedes Fenster, jede Tür, jeden Riegel, jeden Heizkörper mit einer Genauigkeit, als wären es Präzisionsinstrumente." Mit einer "kompromisslosen Energie" habe er dann auch eine Ausführung mit ebensolcher Genauigkeit durchgesetzt, wie seine Schwester Hermine später resümierte.

Nun also Wittgenstein als "Bildhauer". Dokumentiert ist die Stippvisite in diese Kunstgattung über exakt ein Werk: eine Mädchenbüste, geformt aus Ton und dann gebrannt. Sie entstand ebenfalls 1925/28, war lange in Familienbesitz verblieben, gelangt demnächst im Dorotheum (21. 11.) zur Versteigerung und soll bis zu 70.000 Euro bringen.

"Materie gewordene Philosophie"

Die Büste wurde 2008 vom Bundesdenkmalamt (BDA) unter Denkmalschutz gestellt. Konkret, weil es sich "nicht um ein Zufallsprodukt eines dilettierenden Philosophen" handelt, sondern um eine "als Materie gewordene Philosophie", wie es in der Begründung heißt. Laut Katalogangaben sei das Werk deshalb "für eine Ausfuhr gesperrt". Ein Wermutstropfen aus Sicht der am Profit orientierten Marktmaschine, weil damit schon im Vorfeld internationale Kaufinteressenten aus dem Feld geschlagen werden?

Keineswegs, auch wenn es diese verkürzte Darstellung vermuten ließe. Tatsächlich ist mit der Unterschutzstellung "nur" ein Aviso verbunden, dass eine Ausfuhr nicht per se in Aussicht gestellt wird, wie Ulrike Emberger, Leiterin der BDA-Ausfuhrabteilung, auf Anfrage bestätigt.

Mit anderen Worten, ein künftiger Antragssteller könnte "berücksichtigungswürdige Gründe" ins Treffen führen, etwa ausländische Museen oder Institutionen, die eine öffentliche Präsentation des Werkes zusichern. Eine Ermessensfrage, die vom BDA-Präsidium entschieden wird.

Vergleichbare Hürden sind – aufgrund umfangreicher Beständen in heimischen Museen – bei Werken Egon Schieles eher selten. Freies Geleit dürften etwa zwei seiner Arbeiten genießen, die in der gleichen Dorotheums-Auktion zum Aufruf gelangen. Darunter die Gouache einer liegenden Frau (700.000 bis 1,2 Mio. Euro) aus dem Jahr 1917, als sich der Künstler erstmals professionelle Modelle leisten konnte – sehr zum Unbill seiner eifersüchtigen Ehefrau. Eine Identifikation der Dargestellten ist rückwirkend nicht möglich.

Expertendisput

Anders im Falle des ebenfalls 1917 mit schwarzer Kreide gezeichneten Porträts des Kunsthändlers Paul Wengraf, das Anfang Dezember (5. 12.) bei "im Kinsky" im Angebot steht. Wengraf hatte sich von Schiele dreimal in Gouache, Kohle und Kreide porträtieren lassen. Als "die denkbar beste Darstellung meines Inneren und Äußeren", lobte der Kunsthändler das vorliegende Blatt, das zwischen 100.000 und 200.000 Euro einspielen soll.

1917 porträtierte Egon Schiele den Kunsthändler Paul Wengraf insgesamt dreimal, jetzt gelangt die Kohlezeichnung zur Auktion.
Foto: Im Kinsky

In der gleichen Sitzung wird ein kleinformatiges Ölbild des Künstlers offeriert, an dessen Echtheit laut Begleittext "bis vor kurzem nicht die geringsten Zweifel" bestanden. Die internationale Schiele-Expertin Jane Kallir hatte es für ihr Werkverzeichnis 1990 aus jenem von Rudolf Leopold (1972) übernommen, ohne es je im Original gesehen zu haben. Das holte sie jüngst nach und kam zu dem Urteil, es stammt nicht vom Künstler.

Der Haken: 1994 hatte es die damals noch unter "Wiener Kunst Auktionen" firmierende Kinsky-Mannschaft für rund 52.000 Euro (exkl. Aufgeld) als Werk Egon Schieles verkauft. Nun schickt man die Wiese mit großem Baum und Marterl mit einer Taxe von 35.000 bis 70.000 Euro und mit einer Positivexpertise von Herbert Giese ins Rennen. Der Kunsthändler ist auch als Sachverständiger tätig und hatte einst, im Vorfeld des Ankaufs durch die Republik, auch die Sammlung Leopold geschätzt. Wiewohl Giese in seinem Gutachten darauf verweist, dass Signatur und Datierung von fremder Hand seien, hält er das Bild für "ein Original von der Hand Egon Schieles".

Online-Werkverzeichnis

Im Zweifelsfall hat international allerdings ausschließlich Jane Kallirs Urteil Gewicht. Sie weilte diese Woche, auch anlässlich des Egon-Schiele-Symposiums im Leopold-Museum (9./10. 11.), in Wien – und verriet ihr neuestes Projekt: ein Online-Werkverzeichnis, sowohl für Gemälde als auch Arbeiten auf Papier, basierend auf ihren Publikationen von 1990 und 1998, um Neueinträge und Details zu Provenienzen ergänzt. Mit der fortlaufenden Aktualisierungsoption (u. a. Ausstellungen) liegen die Vorteile für die Fachwelt auf der Hand.

Die Veröffentlichung wird in Etappen erfolgen, die erste ist für den 31. Oktober 2018 und damit exakt an Egon Schieles 100. Todestag geplant. (Olga Kronsteiner, Album, 11.11.2017)