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Der türkische Präsident Erdoğan nahm den Todestag des Republiksgründer Atatürk zum Anlass, eine Grundsatzrede zu halten.

Foto: AP/Kayhan Ozer

Ankara – Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat an Musliminnen appelliert, zu heiraten und Kinder zu zeugen. "Was sagen mein Gott und unser Prophet? Der Befehl ist klar und deutlich. Vermählt euch, heiratet und vermehrt euch", sagte Erdoğan am Freitag im Präsidentenpalast in Ankara vor jungen Frauen aus 50 muslimischen Staaten.

"Es ist Pflicht eines Muslims, sich zu vermehren." Zugleich betonte er, dass Musliminnen nicht auf die Mutterrolle beschränkt sein müssten. "Die muslimische Frau ist nicht nur eine gute Mutter, sondern wenn nötig auch eine bahnbrechende Wissenschafterin, Politikerin, Lehrerin und sogar eine kühne Kriegerin."

Kritik von Anhängern des säkularen Atatürks

Wenige Stunden zuvor hatte Erdoğan noch versucht, Anhänger des säkularen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk zu umwerben – die seine Aussagen zur muslimischen Frau mit Befremden aufnehmen dürften. Atatürk, der am 10. November vor 79 Jahren verstorben war, hatte die Türkei nach Westen ausgerichtet.

Säkulare Kritiker werfen Erdoğan seit Jahren vor, das Rad zurückdrehen zu wollen und die Türkei zu islamisieren. In jüngster Zeit ist aber zu beobachten, dass Erdogan den Gründer der Republik und deren ersten Präsidenten wieder verstärkt in den Vordergrund stellt.

Erdoğan lobt Atatürk

Zum Todestag lobte Erdoğan Atatürk nun in den höchsten Tönen. Er sprach von der "unendlichen Achtung unseres Volkes" für den "Gründungsvater unserer Geschichte". Und Erdoğan nutzte die Gelegenheit, um die wichtigste Oppositionspartei – die von Atatürk gegründete CHP – in ihrem Kernverständnis anzugreifen: Er sprach der kemalistischen Partei das Recht ab, Hüterin von Atatürks Erbe zu sein. Im Gegenteil: Die von der CHP betriebene Politik habe nichts mit dem "Atatürk in den Herzen unseres Volkes" zu tun, sagte er. Man werde nicht erlauben, dass die CHP "unserem Volk Atatürk stiehlt".

Die CHP hält die neue Vereinnahmung Atatürks durch den islamisch-konservativen Präsidenten für ein durchsichtiges Manöver: Die Partei wirft Erdogan vor, seine plötzliche Zuneigung zu Atatürk aus wahltaktischen Gründen entdeckt zu haben. Auslöser seien Umfragewerte und der nur knappe Sieg Erdoğans beim Verfassungsreferendum zum Präsidialsystem im vergangenen April, meinte am Freitag Vize-Fraktionschef Özgür Özel. Erdoğans "Liebe" zu Atatürk komme "nicht von Herzen, sondern von Umfragen".

Wahltaktik von Erdoğan

In zwei Jahren stehen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an, mit denen die Einführung des von Erdoğan betriebenen Präsidialsystems in der Türkei abgeschlossen werden soll. Erdoğan hat ambitionierte Ziele vorgegeben: "50 Prozent plus 1" Stimme, und zwar sowohl für sich selber als auch für seine AKP. Umfragen zufolge wird das kein Selbstläufer: Die Zustimmungswerte des Präsidenten lagen Ende Oktober nach einer Befragung des Instituts Metropoll bei nur 46,3 Prozent, der schlechteste Wert seit dem Putschversuch im Sommer 2016.

Erdoğan könnte daher darauf angewiesen sein, sich neue Wählerschichten zu erschließen. Zugleich muss er aber daraufsetzen, seine bisherigen Anhänger nicht zu verprellen.

Kritik an Europa

Womöglich griff Erdoğan deshalb bei seinem Vortrag vor Musliminnen am Nachmittag im Präsidentenpalast wieder zu altbekannter Rhetorik: Er übte sich in Kritik an Europa, wo sich "Fremdenfeindlichkeit, kultureller Rassismus und Islamfeindlichkeit immer mehr ausbreiten", wie er sagte.

"Und was passiert mit dem Lebensraum derjenigen, dessen Äußeres, Sprache, Religion und Hautfarbe anders ist? Er wird enger." Erdoğan fügte hinzu: "Europa verwandelt sich vor allem für diese Gruppen immer mehr zu einem Freiluftgefängnis." (APA, 10.11.2017)