Fraxern über dem Rheintal war NS-Aufbaugemeinde

Foto: Gemeinde Fraxern/Nachbaur

Albert Summer erforschte NS-Geschichte von Fraxern

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Fraxern – 682 Menschen, 2800 Kirschbäume auf Sonnenhängen hoch über dem Rheintal, zehn Gewerbebetriebe, eine Schule mit 40 Kindern – das ist Fraxern, ein kleines Bergdorf im Bezirk Feldkirch. Heute kennt man die Gemeinde als Kriasidorf (Kirschendorf), während der NS-Herrschaft war Fraxern ein sogenanntes Musterdorf.

"Gemeinschaftsaufbau im Bergland" hieß das Förderungsprogramm der Nationalsozialisten, von dem sie sich Produktionssteigerung und Beitrag zur Ernährungssicherheit erwarteten. 85 Gemeinden im Deutschen Reich wurden in das Programm aufgenommen. Fraxern war eine dieser "Aufbaugemeinden".

Der pensionierte Lehrer und Hobbyhistoriker Albert Summer widmete diesem Kapitel seiner Heimatgemeinde eine umfang- und detailreiche Studie und betrat damit Forschungsneuland. Auf über 600 Seiten gibt er mit "Musterdorf Fraxern" Einblick in die kommunale Bürokratie zwischen 1938 und 1945, in das Alltagsleben im Dorf, setzt sich mit den politischen Veränderungen auseinander und erstmals in der Geschichte der Gemeinde mit der Thematik Zwangsarbeit.

Endlich das Schweigen brechen

Mit dem Buch wollte er das Schweigen über die NS-Zeit brechen, Grundlagen für Lehrmaterial liefern, aber auch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zum Sprechen über die Vergangenheit motivieren. Vergangenen Freitag präsentierte er im Rahmen des Vorarlberger Zeitgeschichtetages im vollen Fraxner Mehrzwecksaal "I ka mi erinnera...", eine Broschüre mit Zeitzeugen-Interviews. 25 Personen hatte er um ein Gespräch gebeten, nur zwei lehnten ab.

Summer befragte sie gemeinsam mit dem Historiker Christof Thöny, es entstanden ein Video und ein dicker Ordner mit den transkribierten Gesprächen. Zitate aus den Interviews sind in der Broschüre nachzulesen. "Alle Befragten kommen mit für sie typischen Zitaten vor", sagt Summer. Entstanden ist ein berührendes Potpourri aus Kindheits- und Jugenderinnerungen. Viele der Sätze bleiben unvollendet, auch 70 Jahre nach dem Geschehen fehlen die Worte.

Obwohl agrarisches Musterdorf, in das fünf Millionen Reichsmark investiert wurden, war Fraxern kein Nest überzeugter Nazis. Man ging weiter in die Kirche. Gefangene und Zwangsarbeiter wurden nicht nur als Arbeitskräfte gesehen. Obwohl Strafen bis hin zur Todesstrafe drohten, zeigten einzelne Menschlichkeit. Doch wer Zwangsarbeiter am gemeinsamen Tisch essen ließ oder einem das Fahrrad lieh, musste zur Gestapo nach Bregenz.

Strafe für Menschlichkeit

Vor allem Frauen widersetzten sich. Eine verweigerte erfolgreich ihr Grundstück für einen Gemeinschaftsbau. Es kam dann zu "exemplarischen Strafen, beispielsweise hat man ihnen den Strom abgeschaltet", sagt Summer. Sein Fazit über die Zeit als Musterdorf: "Auf der einen Seite kam es zu einem Modernisierungsschub. Auf der anderen zu schamloser Ausbeutung der Arbeitskraft. Opfer durch Zwangssterilisation, Euthanasie und zahlreiche Gefallene waren der Preis."

Der Innsbrucker Historiker Gerhard Siegl beleuchtete bei der Tagung den agrarpolitischen Überbau der NS-Bergbauernprogramme. In Berlin war man sich nicht einig über die Förderungen. Doch die Blut- und Boden-Ideologen setzten sich durch: Bergbauern galten als "Lebensquell der nordischen Rasse". Die Bauern selbst hätten pragmatisch gehandelt: "Sie haben halt das Geld der Nazis genommen." Die Ideologie der neuen Machthaber sei weniger wichtig gewesen. Siegl: "In den Gemeinschaftsaufbau wurden schließlich Millionen investiert. Auf kosten der Zwangsarbeitskräfte und zugunsten der Kriegswirtschaft." (Jutta Berger, 13.11.2017)