Beste Schauspielerin: Andrea Jonasson.

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Lebenswerk-Preisträgerin Kirsten Dene mit Michael Maertens.

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Wien – Die 18. Nestroy-Gala am Montagabend im Wiener Ronacher war eine der ungewöhnlichsten und überraschendsten, für Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) gar "eine der spontansten, lustigsten, politischsten und empathischsten Nestroy-Verleihungen, die ich erlebt habe". Verantwortlich dafür waren das Krisenmanagement bei der Moderation und Reden von Birgit Stöger und Michael Turinsky.

Im Wiener Ronacher sind am Montagabend die begehrten Nestroy-Theaterpreise verliehen worden.
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Eine Überraschung erwartete die Gäste gleich zu Beginn. Statt wie angekündigt Burgschauspielerin Regina Fritsch und die Puppenspieler Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm eröffnete ORF-3-Moderator Peter Fässlacher den Abend und bat sogleich Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann in ihrem Lieblingsjob als Krisenmanagerin auf die Bühne.

Die Autorin Julya Rabinowich habe statt des bestellten Textbuches zu einer Bühnenshow zum Thema "Wie gefährlich ist die Kunst?" ein veritables kleines Theaterstück abgeliefert, das in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu realisieren gewesen sei, sagte sie. "Das Stück wurde immer größer, das Zutrauen ans Gelingen immer kleiner." Ende der vergangenen Woche sei klar gewesen, dass das vorgesehene Konzept für den Abend, für den das Burgtheater "Schirmherrschaft und künstlerische Gestaltung" übernommen habe, so nicht zu realisieren sei. "Künstler haben immer recht – und letztendlich verantwortlich ist der Theaterdirektor."

Das Buch kam zu spät

In einem Statement gegenüber der APA halten Fritsch, Habjan und Linshalm dagegen fest, "dass wir die Moderation der Nestroy-Gala nicht in letzter Minute abgesagt haben, sondern bereits Anfang November". "Die Probenzeit war zu kurz, das Buch kam zu spät", betonen sie. "Wir haben unsere Bedenken mehrfach geäußert, unsere Warnungen wurden nicht ernst genommen." Bereits am 4. November sei man von der Aufgabe zurückgetreten, "damit eine angemessene Alternative gefunden werden kann".

Das Überraschende: Die Alternative wurde offenbar innerhalb eines Wochenendes gefunden. Bergmann holte sich professionelle Hilfe bei Paradekomiker Michael Niavarani, der gleich einmal öffentlich davon schwärmte, wie erhebend es sei, von einer Burgtheaterdirektorin angerufen zu werden, von Schauspielern und Direktorenkollegen aus den Bundesländern. Und siehe da: Aus der Krise entstand ein von Gemeinschaftsgefühl geprägter und doch stets politischer Abend, in dem erstmals seit langem die Theaterfamilie zusammenrückte und sich selbst artikulierte statt bloß glatt und geschmeidig gefeiert zu werden. Joachim Meyerhoff, der als bester Schauspieler geehrt wurde, meinte: "Dass es so ein überraschend schöner Abend wird, hätte ich nicht gedacht, und ich war ja schon öfter hier."

Bester Schauspieler: Joachim Meyerhoff.
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Neben Meyerhoff wurde Andrea Jonasson als beste Schauspielerin geehrt, die sich ihrerseits wieder für Elmar Goerden freute, der für die Josefstadt-Produktion "Die Verdammten", in der sie mitgewirkt hatte, den Regiepreis erhielt. Die Josefstadt durfte sich mit der 26-jährigen Maresi Riegner freuen, die u.a. für ihre Hedvig in "Die Wildente" den Preis als bester weiblicher Nachwuchs bekam.

Das Volkstheater dagegen war stolz auf den 1992 geborenen Jungregisseur Felix Hafner, der für seine fulminante Regie von Molières "Der Menschenfeind" als bester männlicher Nachwuchs geehrt wurde, sowie auf Birgit Stöger, die in dem Stück als Arsinoe beeindruckt hatte und für die Rolle wie für ihre Erna in "Kasimir und Karoline" den Nebenrollen-Nestroy erhielt.

Maresi Riegner erhielt den Preis als beste weibliche Nachwuchsschauspielerin.
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Stöger sorgte mit ihrer Dankesrede für den ersten Magic Moment und die ersten Standing Ovations des Abends. Sie erinnerte an den irakischen Flüchtling, der die im Vorjahr ausgezeichnete "Lost and Found"-Produktion des Volkstheaters inspiriert habe und seither zu einem guten Freund geworden sei. Am Montagmorgen habe dieser einen negativen Asylbescheid erhalten. "Wenn der österreichische Staat ihn abschiebt, kommt dies einem Todesurteil gleich." Das Publikum reagierte mit langen Standing Ovations und Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) mit der Ankündigung, sich als "eine meiner vielleicht letzten Amtshandlungen" den angesprochenen negativen Asylbescheid noch einmal genau ansehen zu wollen.

Für einen ähnlichen Moment sorgte der im Rollstuhl sitzende Tänzer Michael Turinsky mit seiner Dankesrede für den Spezialpreis, den er und die Choreographin Doris Uhlich "für Inklusion auf Augenhöhe" in der Performance "Ravemachine" erhielten. Turinsky machte deutlich, was das Gegenteil davon sei – nämlich Ausgrenzung, und die sei in diesem Land wieder salonfähiger geworden. Auch er erhielt für seine Rede langen Applaus und Standing Ovations.

Felix Hafner erhielt den Preis für den besten männlichen Nachwuchs.
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Und schließlich beeindruckte der Autor und Regisseur David Schalko mit einer "im Taxi geschriebenen" Rede über die Gefährlichkeit der österreichischen Künstler und ihre Sehnsucht nach einem Kulturministerium, von dem man sich seine Gefährlichkeit bewilligen lassen könne. "Keine Spezies ist gefährlicher als der Österreicher, dem man die Kunst wegnimmt", warnte er ironisch vor dem sich mit Heugabeln bewaffnenden Volk, das um seine Staatskünstler kämpfe. Während allenthalben die bange Frage gestellt werde, ob Sebastian Kurz Kunst geil genug sei, könne man von H.C. Strache wenigstens die Aufhebung des Rauchverbotes auf Bühnen erwarten.

Wesentlich weniger spritzig bedankte sich die ebenfalls mit Standing Ovations gefeierte 74-jährige Burgschauspielerin Kirsten Dene, die den Lebenswerk-Preis entgegennahm, bei ihrem Laudator Michael Maertens, der Jury und dem Publikum. Sie las einige Dialogzeilen aus Thomas Bernhards Stück "Ritter, Dene, Voss" vor, und schloss: "Zum Abschied ein leises Servus und ein lauteres: Obacht geben! Und spielt schön! Pfiat Euch! Danke."

Elmar Goerden erhielt den Regie-Nestroy.
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Nach 2 Stunden 45 Minuten hielt Bergmann ohne einen Nestroy-Preis bekommen zu haben, "trotzdem eine Dankesrede" – nämlich an alle, die zum Gelingen dieses improvisierten Abends beigetragen hatten. "Ich glaube, der Abend war rund und dicht – und ich glaube, wir können jetzt feiern gehen." Das wurde im Anschluss im Kursalon im Stadtpark auch bis in die frühen Morgenstunden getan. Den Text von Julya Rabinowich will Bergmann übrigens nicht einfach in einer Schublade verschwinden lassen, sondern in irgendeiner Weise umsetzen. Und sei es als Lesung in der Burgtheater-Direktion. (APA, 13.11.2017)