Festgenommen, jetzt ist Rat teuer – obwohl schon die Grundlage der Aufklärungspflicht für Verdächtige, die Miranda-Erklärung, besagt, dass der Anwalt notfalls kostenlos ist.

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Wien – "Sie haben das Recht zu schweigen, Sie haben das Recht auf einen Anwalt": So lautet der aus US-Krimis hinlänglich bekannte Satz, mit dem ein Cop einen von ihm festgesetzten Bösewicht oder anderen Verdächtigen über seine Rechte aufklärt. In Österreich geht die Polizei nach Festnahmen wegen eines strafrechtlichen Verdachts in der Regel nicht viel anders vor, sagt der Wiener Anwalt Georg Bürstmayr. Zumal die Polizei zur Aufklärung verpflichtet ist und diese im Vernehmungsprotokoll festgehalten wird.

Seit Anfang 2017 wird die Möglichkeit, in solchen Fällen einen Anwalt zu involvieren, noch zusätzlich herausgestrichen. In 38 Sprachen würden in den Polizeiinspektionen Aufklärungsblätter aufliegen, um auf die Anwälte-Hotline unter der rund um die Uhr besetzten, kostenfreien Telefonnummer 0800 376 386 hinzuweisen.

Auf Plakaten beworben

Auch Plakate mit dem Hinweis auf den Bereitschaftsdienst seien in den Inspektionen affichiert, hieß es am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz des Leiters der Strafrechtssektion im Justizministerium, Christian Pilnacek, und des Präsidenten des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (Örak), Rupert Wolff.

Geschuldet ist das Bestehen des Verteidigernotrufs einer Auflage der EU, konkret der "Richtlinie über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls" aus dem Jahr 2013. Sie muss in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden und besagt, dass allen Verdächtigen von der ersten Vernehmung an die Möglichkeit einzuräumen ist, ohne Überwachung mit einem Verteidiger zu sprechen.

Rund um die Uhr bereit

Um das auch Verdächtigen, die keinen eigenen Beistand haben, zu ermöglichen, hat der Rechtsanwaltskammertag einen Verteidigerschichtdienst auf die Beine gestellt. Bundesweit stehen von null bis 24 Uhr 18 Anwälte zur Verfügung, zwei in jedem Bundesland. Sie erhalten pro Einschreiten 120 Euro plus Umsatzsteuer. Kann sich das der Verdächtige nicht leisten, teilen sich das Justizministerium und der Rechtsanwaltskammertag die Kosten: Insgesamt kostet das Projekt 990.000 Euro jährlich.

Die jeweils diensthabenden Anwälte drehen ihr Handy nicht ab, denn sie müssen telefonisch erreichbar sein. Wenn nötig, kommen sie auch persönlich zu einer Vernehmung oder einer U-Haft-Verhandlung. Dann müssen die Kriminalbeamten oder der Haftrichter mit dem Beginn der Amtshandlung bis zum Eintreffen des Verteidigers warten.

Polizei "sehr entspannt"

Laut Anwalt Bürstmayr geht man in den Polizeiinspektionen "sehr entspannt" mit dem Beiziehen von Verteidigern um: "Das war in Österreich nicht immer so." Doch inzwischen habe sich das Wissen, dass das Eingreifen eines Anwalts ein Verfahren vereinfachen könne, bei der Polizei verfestigt. So sei Verdächtigen etwa nicht in allen Fällen das ihnen als Option genannte Schweigen anzuraten: "Wenn die Faktenlage erdrückend ist oder ein Missverständnis vorliegt, ist es besser, sich zu erklären."

Konkret haben in den ersten zehn Monaten des heurigen Jahres rund 1200 Festgenommene die Anwältehotline in Anspruch genommen. Unter den laut Strafprozessordnung Festgenommenen sind das rund neun Prozent: Laut Innenministerium gab es in Österreich zwischen Anfang Jänner und 14. November 14.210 derartige Entscheidungen.

Viele nicht einbezogen

Noch ausgeprägter ist die Diskrepanz zu den laut Justizministerium zwischen Anfang Jänner und 31. Oktober österreichweit 57.235 gestarteten Verfahren laut Strafprozessordnung. Die Erklärung: Viele Verfahren werden bald wieder niedergeschlagen – und ein Großteil der Beschuldigten ist gar nicht Teil der Anwaltshotline-Zielgruppe. Etwa wenn sie, auf freiem Fuß angezeigt, auf die Polizeiinspektion zur Vernehmung geladen wurden. (Irene Brickner, 16.11.2017)