Wer nach der neunten Schulstufe nicht weiterweiß, sich für eine Lehre oder eine weitere Schullaufbahn noch nicht bereit fühlt oder auch schon aus dem Schul- oder Ausbildungssystem draußen ist, kann in Österreich kostenlos das Jugendcoaching in Anspruch nehmen. Mehr als 500 Coaches arbeiten bei 35 Trägerorganisationen in ganz Österreich. Seit das Projekt 2012 gestartet wurde, konnten 160.000 Jugendliche hier Beratung finden.

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Um das Jugendcoaching zu promoten, wurde dieses Jahr ein kurzer Film gedreht – die jugendlichen Darsteller haben auch am Drehbuch mitgewirkt.

NEBA ÖSTERREICH

Margit Thell (43) kennt Probleme und Sorgen der Jugendlichen – und ihrer Eltern.

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STANDARD: Sie wollten von den Jugendlichen im Coaching wissen, wie sie die Ausbildungspflicht bis 18 bewerten. Was kamen für Reaktionen?

Thell: Die Mehrheit hat vor allem in dem Zusammenhang davon gehört, dass die Eltern Strafe zahlen müssen, wenn man nach dem neunten Schuljahr nicht in einer Schule oder Ausbildung ist. So etwas merken sich die Jugendlichen natürlich. Aber ganz generell finden die Jungen das neue Gesetz gut.

STANDARD: Und wie sehen Sie das?

Thell: In erster Linie als eine große Chance für die Jugendlichen. Man gibt ihnen damit ein Signal, dass sie wichtig sind – und das merken sie auch. Natürlich wird damit eine Aufstockung der meisten Angebote wahrscheinlich notwendig. Deswegen gilt es jetzt zu schauen, wo noch Bedarf besteht.

STANDARD: Jugendcoaching findet einerseits in Schulen statt, wo es oft um kurze Beratung geht. Sie arbeiten aber auch mit Jungen, die weder in Beruf noch Schule sind. Die werden bis zu ein Jahr begleitet.

Thell: Um hier viele zu erreichen, ist gute Vernetzung wichtig, zum Beispiel mit dem AMS, aber auch mit der offenen Jugendarbeit und anderen Institutionen in den Bezirken. Manchmal kommen auch Burschen oder Mädels, die von Freunden oder der Familie von dem Angebot gehört haben.

STANDARD: Warum fallen diese Jugendlichen aus dem System?

Thell: Nicht festmachen möchte ich das am Migrationshintergrund. Viele dieser Jugendlichen haben schon einige negative Erfahrungen gemacht – bei der Lehrstellensuche zum Beispiel – und sind niedergeschlagen und verunsichert. Häufig kommen sie aus bildungsfernen Familien. Dass Bildung vererbt wird, ist ja nichts Neues. Die Eltern dieser Kinder kennen manchmal das österreichische Bildungssystem gar nicht. Welche Möglichkeiten es für ihre Kinder gibt, muss zuerst erklärt werden. Oft wünschen sie sich Wege, die für die Jugendlichen einfach nicht erreichbar sind.

STANDARD: Das Gymnasium?

Thell: Zum Beispiel, ja. Weil sie gehört haben, dass da die "Guten" hingehen. Ein Vater wollte hingegen, dass seine Tochter unbedingt Bürokauffrau lernt. Für die Tochter war das einfach zu viel. Wir haben das Gespräch mit beiden gesucht und vorgeschlagen, ein Jahr lang die Produktionsschule zu besuchen. Da geht es um mehr als nur Wissensvermittlung. Jugendliche können hier in unterschiedliche Berufsfelder schnuppern, Praktika machen, aber auch Sport steht auf dem Programm. Ganz allgemein ist dieses Jahr sehr individuell, die Nachreifung steht im Zentrum. Die Idee hat beiden gefallen, und mittlerweile hat das Mädchen ihre Ausbildung zur Bürokauffrau in einer überbetrieblichen Lehrstätte begonnen.

STANDARD: Haben sich die Lebensgeschichten der Jugendlichen im Lauf der Jahre verändert?

Thell: Das würde ich nicht sagen. Wir erleben Jugendliche, die etwas erreichen wollen. Natürlich sind belastende Hintergründe dabei, aber ich sehe meine Aufgabe dennoch positiv. Es ist schön, mit motivierten Jungen zusammenzuarbeiten. Verändert haben sich die Anforderungen. Früher war es einfacher, eine Lehrstelle zu finden.

STANDARD: Von Lehrlingsausbildnern hört man teilweise Kritik an den Jungen. Sie seien weniger ehrgeizig als früher, hätten mit Pünktlichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen oft Schwierigkeiten.

Thell: Natürlich wird es Jugendliche geben, die sich mit Pünktlichkeit schwertun. Aber da gibt es auch genügend Erwachsene. Und wenn wir im Gespräch merken, dass es solche Defizite gibt, dann empfehlen wir die Produktionsschule oder schlagen ein freiwilliges zehntes Schuljahr vor.

STANDARD: Kommt es oft vor, dass ein Jugendcoaching vom Jugendlichen abgebrochen wird?

Thell: Nein. Diese Fälle kann ich an einer Hand abzählen. (Lara Hagen, 16.11.2017)