"Aufrecht wie die Kiefer, unbeugsam wie die Eiche": Lebensmaximen einer puritanischen Familie.


Foto: Michael Huey / Galerie Agnes Reinthaler

Oft sind es gerade die Dinge, die er wegwerfen will, Dinge, die einfach nicht passen wollen zu den eigenen Kategorien des Bewahrens und Sammelns, aus denen dann etwas Neues entsteht, erzählt Michael Huey. Dort, wo sich etwas sträubt, wo Reibung entsteht, beginnt – solange man das Störende nicht einfach beiseiteschiebt – auch etwas; aus dem gut 70 Jahre alten, welken Blatt einer nordamerikanischen Roteiche etwa eine ganze Ausstellung: Family Tree in der Wiener Galerie Reinthaler.

Das von der Großmutter beschriftete fragile Laub ist Teil eines riesigen Archivs von Familienerinnerungen, das Huey (geb. 1964 in Traverse City, Michigan) hortet. Ein Archiv, das rund um eine "Urwunde" entstanden ist. Eine Verletzung, die zur Quelle seines künstlerischen Arbeitens geworden ist.

Es ist die Geschichte vom Verlust eines kindlichen Paradieses, situiert auf der Halbinsel Leelanau am Rande des Lake Michigan. "Ein Ort mitten im Nichts" mit riesigen Sanddünen und ausgedehnten Wäldern, wo Hueys Großonkel und Großvater in den 1920er-Jahren ein dem Puritanismus verpflichtetes Ferienlager, später Schule und Internat, gegründet hatten. Aber das Areal zersplitterte. Ein Teil wurde Nationalpark, die Schule zur Stiftung, und das an Michael Hueys Vater übergebene Feriencamp trug sich nicht. Die Familie musste wegziehen. Es ist also nicht nur der verträumte Ort der Kindheit, der verloren wurde, sondern auch Sicherheit und – mit dem Aufbrechen von Konflikten – der Glauben an familiäre Harmonie und Geborgenheit.

Brüche und Verletzungen

Es geht also um mehr als Nostalgie, wenn Huey das bewahrte Eichenlaub als Foto verkehrt und zu einer Art "Farbnegativ" macht. Nicht nur, dass rundherum Eichen und Kiefern wachsen, sie sind auch die Wächter der puritanischen Maximen in Schule und Hueys Familie: "Aufrecht wie die Kiefer, unbeugsam wie die Eiche". Grundsätze, die Huey in der Inversion brüchig werden lässt. Manchmal helfen dabei auch Kratzer – Verletzungen – auf den Negativen. Das immaterielle Vermächtnis der Familie zu hinterfragen stieß dort nicht immer auf Verständnis, seien doch die Qualitäten eines Menschen gottgegeben.

Das Archiv, aus dem er schöpft, ist erstaunlich – nicht nur im Umfang, sondern auch in der Qualität: Bereits die Ururgroßeltern waren begeisterte Hobbyfotografen. So entsteht für Michael Huey oft die Frage: Schnappschuss oder inszeniertes Bild für die nächste Schulbroschüre? Freilich erzählt er eine ureigene Geschichte, aber die Objekte und Fotos funktionieren auch als Spiegel eigener Erinnerungen und Ausgangspunkt zur Befragung eigener Stammbäume.

"Mit der Seele eines Archivars passiert es leicht, das Eigene zu vergessen", so Huey. Und so musste er dem Vergangenen bewusst Dinge aus seiner unmittelbaren Gegenwart hinzufügen. Geschichten sollten Fortsetzungen finden. (Anne Katrin Feßler, Album, 18.11.2017)