Gesang und rote Farbe in effektvoll vernebeltem Licht: "Flinch Not and Give Not Back" der Gruppe Saint Genet (Originalfassung 2008) im Wiener Wuk.

Foto: Steven Miller

Wien – Zurück ins vergangene Jahrhundert telefonieren, und Heiner Müller hebt ab. Seiten aus Julia Kristevas Buch Fremde sind wir uns selbst, mit Sicherheitsnadeln an einen Arm geheftet, werden zu Flügeln. Und Hermes Phettberg, nackt auf einem Leibstuhl, ruft in sakraler Verzweiflung: "Aufhören!" Aber Tänzerin Steffi Wieser hat den Drehwurm und holt ihn erst später ab.

Seit Donnerstag ist das Performing-Arts-Department des Wuk wieder da: unter der neuen Leitung von Esther Holland-Merten (40), mit veränderten Perspektiven und einem sechstägigen Eröffnungsprogramm. Holland-Merten ist Bettina Kogler nachgefolgt, die wiederum die Intendanz des Tanzquartiers Wien übernimmt. Personalien, die von der Kulturabteilung der Stadt Wien viel zu spät abgewickelt wurden; die Performance im Wuk beginnt daher erst jetzt, die Tanzquartier-Spielzeit gar erst 2018.

Zum Wuk-Auftakt gab’s die Installation Die Müllermatrix der Berliner Gruppe Interrobang, den ersten Teil einer Lecture-Performance-Trilogie Wunde Welt von Otmar Wagner und eine Neufassung des Stücks Flinch Not and Give Not Back (2008) der Gruppe Saint Genet, die gerade aus Seattle nach Wien übersiedelt. Eine stimmige Kuratierung, die ästhetisch durchaus unter dem Motto "Vorwärts in die Vergangenheit" stehen könnte.

Holland-Merten zeigt, was weite Teile der Gegenwartsperformance ausmachen: ästhetische Rückgriffe auf die 1980er-Jahre und Spekulation mit süffigen Emotionalisierungstaktiken. Das sich neu gebende Alte wogt nicht nur in der amüsanten Begegnung mit Müller, dessen Geist von Interrobang in einen Telefonautomaten gezwungen wurde, sondern auch in Otmar Wagners kabaretthaft angelegter Kritik an der heutigen Gesellschaft.

Immerhin verteilt der Künstler Bier und verarscht etliche der dreistesten Werbesprüche in Wirtschaft und Politik. In Flinch Not and Give Not Back gibt es keinen Alkohol, sondern viel Musik – mit dem Orchester Klangvereinigung Wien unter Gerald Mair –, Gesang und rote Farbe in effektvoll vernebeltem Licht auf streng zentralperspektivischer Bühne. Phettberg ist der Star des Abends, eine Allegorie des Aussitzens und das zart verstörte Anti zum Pathos des ihn umgebenden Stücks. (Helmut Ploebst, 17.11.2017)