Kindergartenkinder bei einem Laternenmarsch.

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Christiane Seufferlein hat keinen gewöhnlichen offenen Brief geschrieben. Die Mutter eines kleinen Mädchens hat einen Verzweiflungsschrei verfasst: Sie werde ihr Kind bei Landeshauptmann Thomas Stelzer im Landhaus abgeben, schrieb sie – wenn Gebühren für die Nachmittagsbetreuung eingehoben werden, gebe es für sie als Berufstätige keine andere Möglichkeit. Weil 150 Euro pro Monat kein Pappenstiel sind, fänden sich keine zehn Kinder für die Gruppe ihrer Tochter – der Kindergarten müsse zusperren.

Der emotionale Brief, auf Facebook gepostet, hat für viel Wirbel gesorgt. Eine Posterin schrieb: Als ihre Kinder klein waren, habe auch die Betreuung am Vormittag etwas gekostet, man habe sich eben einschränken müssen. Das sei auch gegangen, obwohl der Ehemann Alleinverdiener gewesen sei. Der Nachwuchs sei eben nicht "im Luxus aufgewachsen", und überhaupt: "Heute wollen alle alles gratis!" Die Frau darf sich beglückwünschen – offenbar hat sie die anstrengenden Lebensjahre mit kleinen Kindern gut hinter sich gebracht, und offenbar leidet sie auch nicht darunter, dass sie von Unterhalt und Pension ihres Gatten abhängig ist. Doch daraus eine allgemeingültige Lebenseinstellung zu machen – das sollten sich im Jahr 2017 nur Privatpersonen als Meinung leisten.

Leider scheinen die Ansichten der Facebook-Posterin ziemlich genau das Gesellschaftsbild der oberösterreichischen Landesregierung widerzuspiegeln: Kinderbetreuung ist grundsätzlich Privatsache, wer das anders sieht, möge gefälligst dafür bezahlen. Bemäntelt wird das mit einem angeblichen "Sparzwang" der Koalitionäre. Man wolle die Kinderbetreuung im Land "langfristig sichern". Verpflichtung und Zwang sind selbst auferlegt, es ist keineswegs so, dass Oberösterreichs Finanzen aus dem Ruder liefen. Der oberste politische Ehrgeiz von Schwarz-Blau ist halt das "Nulldefizit" – da müssen die Landesbürger eben Opfer bringen. Allerdings ist die Regierung jetzt wieder halb eingeknickt: Für sozial Schwache soll sich der monatliche Beitrag reduzieren, in "Härtefällen" muss man gar nichts zahlen. Das macht das Sparargument umso absurder: Die bürokratischen Kosten werden die Mehreinnahmen auffressen.

Der Ernährer und die Kinderhüterin

Ohnehin geht es um etwas anderes: die politische Durchsetzung eines gestrigen Gesellschaftsbilds. Der Mann ist der Ernährer. Die Frau soll, wenn überhaupt, nur ein bisschen Teilzeit arbeiten und ansonsten für die Kinder da sein. Damit hätte man auf einen Schlag auch alle erzieherischen und sozialen Probleme, die Ganztagskinderbetreuung mit sich bringt, privatisiert.

Vom emanzipatorischen Wiener Ansatz, dass mehr und längere Fremdbetreuung vor allem für Kinder mit Migrationshintergrund auch mehr Integrationschancen bieten, ist man in Oberösterreich – und den meisten anderen Bundesländern – meilenweit entfernt. Vor allem in diesem Punkt scheinen ÖVP und FPÖ neuerdings zu harmonieren. Wobei die FPÖ wieder eine Vorreiterrolle einnimmt: Ganz ungeniert vertreten die Blauen mittlerweile die Ansicht, Integration sei gar nicht nötig – das Fernziel sei ja, dass Zugewanderte wieder wegwandern.

Abgesehen davon ist die Aktion mehrfach kurzsichtig: Wer die Kindergartenzeit beschränkt, verlagert Sozialisierungsprobleme in die Volksschule. Wer Frauen an den Herd zwingt, befördert weibliche Altersarmut. Wer Eltern verärgert, vertreibt damit auch seine Wählerinnen und Wähler. Letzteres ist freilich das geringste Problem. (Petra Stuiber, 18.11.2017)