Kämen Forscher aus fernen Regionen Anfang Dezember nach Österreich, hätten sie wohl ihr ideales Forschungsobjekt für viele Jahre gefunden: den Krampus. Er bietet alles, was das Herz des Religionsethnologen höher schlagen lässt: archaische Masken und Kostüme, wilde Rituale, unzählige regionale Ausprägungen, Überlagerungen verschiedener Religionsformen, eine unklare Herkunft und ein buntes, postmodernes Weiterleben. Und für uns Religionswissenschaftler ist der Krampus ebenso ein Faszinosum.

Krampus oder Percht

Der Krampus hat, seinem selbstbewussten Auftreten zum Trotz, ein grundlegendes Identitätsproblem. Er ist aus heutiger Sicht eine Hybridkonstruktion aus Percht und Krampus. Die Percht ist Gegenstand eines demnächst hier erscheinenden Blogbeitrags, daher darf hier nur festgehalten werden, dass die Perchten sowohl geografisch als auch zeitlich ursprünglich eine weitere Verbreitung hatten als der Krampus. Letzterer ist stärker an den 5. Dezember als Vorabend zum Nikolaustag gebunden und hat auch eine viel stärkere Christianisierung erfahren, wenn er nicht überhaupt, wie gleich zu erörtern, dem Christentum entstammt und sozusagen durch die Vermischung mit der Percht eine Entchristlichung erfuhr.

Der Krampus wird oft mit den ähnlichen Perchten verwechselt.
Foto: AP Photo,CTK/Vaclav Pancer

Die Herkunft des Krampus

Für alle volksreligiösen Bräuche gilt: Je älter, desto besser. Wie für viele vermeintlich uralte Traditionen ist auch für den Krampus bis heute die gesicherte Geschichte weit jünger. Wenn man die Percht(en) als Pendant des Krampus sieht, was, siehe oben, nicht unproblematisch ist, dann ist eine erste Erwähnung für 1582 gesichert. Masken, die mit einigem Recht als Krampusmasken bezeichnet werden können, sind aus dem 18. Jahrhundert erhalten. Hausbesuche von Nikolo und Krampus beginnen mit dem 17. Jahrhundert, im Wien des 18. Jahrhunderts sind diese in bessergestellten Häusern "in".

Hier zeigen sich allerdings bereits jene beiden Traditionsstränge, die bis heute den Krampus prägen: Ein christlicher, der nicht unbegründet auf das Jesuitentheater des Barock zurückgeführt wird, wo der Teufel zu pädagogischen Zwecken auftrat – zur Diskussion um die schwarze Religionspädagogik siehe unten – und eine ländliche, inneralpine Tradition, in der von Mitte November bis Mitte Jänner gemeinschaftliche Umzüge von maskierten Gestalten stattfanden, denen der Name Krampus erst im 20. Jahrhundert gegeben wurde. Die in der alten, nicht ganz ideologiefreien Volkskunde behaupteten "heidnischen" Ursprünge bei den Germanen oder Kelten, sind jedenfalls nicht nachweisbar. Der Krampus als Begleiter des Heiligen Nikolaus, seit dem 19. Jahrhundert auch bildlich belegt, ist eine volkschristliche Denkfigur, in welcher der Krampus zu einer domestizierten Form des Teufels geworden ist und dem durch göttliche Hilfe überlegenen Heiligen zu Diensten sein muss.

Der Krampus ist seit dem 19. Jahrhundert als Begleiter des Nikolaus bildlich belegt.
Foto: REUTERS/Alexandra Winkler

Krampus: Vertreiber des Winters oder gezähmter Teufel?

Diese zweifache Herkunft des Krampus beeinflusst auch die Erklärung seiner Funktion: Leitet man ihn aus vorchristlich-paganen Wurzeln her, so liegt die Erklärung der Personifikation der wilden, finsteren Natur in den kalten Winternächten tatsächlich nahe. Ebenso gut passt in dieses Deutungsmodell der Krampus als apotropäische, also abwehrende, Figur: Er vertreibt die Gefahren des Winters und der Finsternis. Beides sind religionsethnologische Klassiker, die allerdings einerseits nicht nachweisbare alte Vorstellungen voraussetzen und andererseits die Frage nach der aktuellen Fortführung oder gar Beliebtheitssteigerung der Figur im 21. Jahrhundert – wo es auch in den finstersten Alpentälern elektrisches Licht gibt – nicht beantworten.

Leichter ist es da schon, wenn man den Krampus als Begleiter des Nikolaus und gezähmten Teufel deutet. Hier lässt sich in einem christlichen Weltbild erstens die Überlegenheit des eigenen guten Gottes gegenüber dem Bösen demonstrieren, zweitens das omnipräsente Böse effektvoll darstellen, und drittens die von mittelalterlichen Gemälden bekannte Botschaft ins bürgerliche Wohnzimmer bringen: Wer nicht brav den moralischen Normen der Kirche folgt, den wird der Teufel mit Eisenketten holen und foltern. Die katholische Kirche distanziert sich heute heftig von diesem pädagogischen Modell und schickt den Nikolaus allein von Haus zu Haus, der Krampus hat diese Säkularisierung bestens überlebt und schlägt sich ohne Nikolaus durchs vorweihnachtliche Leben.

Geschlecht und Grenzüberschreitung

Kann man den Krampus gendern? Der Krampus ist, anders als die Percht, immer klar männlich dargestellt. (Junge) Männer verkleiden sich als männliches Monster mit Zottelpelz und Hörnern. Die Rolle von Frauen bei Krampusläufen ist die des Opfers oder Objekts der Begierde – der Krampusabend beziehungsweise Krampusläufe und -kränzchen sind ein einziges saisonales #MeToo. Das gilt sowohl für alpine Räume als auch für spätbiedermaierliche Ansichtskarten, die sich wieder zunehmender Beliebtheit erfreuen.

Frauen sind im Bezug auf den Krampus immer in der Opferrolle.
Foto: Tumblr

Der Krampus ist eine groteske Repräsentation von Maskulinität, in der sich eine patriarchale, ländliche Vormoderne und katholisches Sündenverständnis – die begehrlichen Frauen bekommen, was sie verdienen – in seltener Harmonie treffen. Wie eine Studie junger Kulturanthropologen deutlich macht, dient der Krampus heute als zumindest temporäre Rückversicherung dieser im Alltag längst vergangenen männlichen Identitätskonstruktion als "wilder Mann". Der Krampus ist und war oft eine als Brauchtum verbrämte Grenzüberschreitung mit sadistisch-sexueller Konnotation.

Beim Krampus verschwimmen die Grenzen zwischen wildem Tier und wildem Mann.
Foto: REUTERS/David W Cerny

(Re)Konstruktion abendländischer Identität

Nicht nur der Nikolaus, auch der Krampus wird zunehmend zur Versicherung einer "abendländischen" oder zumindest "österreichischen" Identität herangezogen. Berichte über Angriffe auf Krampusse durch Jugendliche mit Migrationshintergrund, wie etwa in Salzburg 2012, werden zum Anlass genommen, das Eigene vom Fremden abzugrenzen. Der Krampus wird ungeachtet der eigenen ambivalenten Herkunft zur Verkörperung einer abendländischen Identität, die es zu schützen und bewahren gilt. Die Ängste der Kindheit, wie sie Christoph Waltz 2014 so charmant in der US-Talkshow von Jimmy Fallon erklärte, werden verklärt als gute alte Zeit, als man sich noch vor Krampussen und nicht vor dunklen Gestalten aus jener Region des Nahen Ostens fürchten musste, aus welcher der Heilige Nikolaus stammt. 

The Tonight Show Starring Jimmy Fallon

Die Zunahme von Krampusläufen und anderen Events in städtischen Regionen wie Graz, kann im Kontext anderer Re-Traditionalisierungsmaßnahmen – wie das Volkskulturfest "Aufsteirern" und ähnliches – angesichts der multiethnischen Realität gelesen werden. Zugleich sind die "Fremden" gern gesehene Zuschauer für Krampusevents, wenn sie als neugierige Touristen anreisen und dafür bezahlen, sich vom wilden alpenländischen Brauchtum erschrecken zu lassen und viele Krampusse aus Schokolade mit nachhause nehmen. Hoffentlich sind unter ihnen auch Religionsethnologen. Wir sind auf ihre Erklärungen des Krampus gespannt. (Theresia Heimerl, 5.12.2017)

Zum Thema

Literaturtipps

  • Matthäus Rest / Gertraud Seiser (Hg.): Wild und schön. Der Krampus im Salzburger Land, Wien: LIT 2016.
  • Felix und Ulrich Müller: Percht und Krampus, Kramperl und Schiach-Perchten, in: Ulrich Müller / Werner Wunderlich (Hg.): Dämonen Monster Fabelwesen, Konstanz/München: UVK 2015 (Nachdruck von 1999), 449-459.

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