Olympiasiegerin Petra Kronberger ist seit 2015 ÖSV-Konsulentin. Sie hofft, dass sich mögliche Betroffene direkt an sie wenden.

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ÖSV-Chef Peter Schröcksnadel hofft das auch.

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Innsbruck/Wien – "Wenn jetzt so etwas vorfallen würde, würden wir dazwischenfahren und kurzen Prozess machen." So hat Peter Schröcksnadel, seit 1990 Präsident des österreichischen Skiverbands, auf den STANDARD-Sportmonolog der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg reagiert. Werdenigg, die unter ihrem Mädchennamen Spieß Abfahrtsmeisterin 1975 und Olympiavierte 1976 war, hatte von sexuellen Übergriffen im heimischen Skisport bis hin zu einer Vergewaltigung durch einen Mannschaftskollegen während ihrer Karriere berichtet.

Schröcksnadel hält nun im Gespräch mit dem STANDARD fest, ihm sei in seiner Zeit als Präsident "nie etwas über sexuelle Übergriffe zu Ohren gekommen". Er könne nicht ausschließen, "dass ab und zu zwischen Trainern und Athletinnen ein rauer Ton herrscht". Der ÖSV-Chef will auch "das eine oder andere Pantscherl nicht ausschließen. Aber ein Pantscherl ist ja auch kein Übergriff." Generell stellt er fest: "Das waren damals sicher andere Zeiten." Würde sich der ÖSV aktuell mit Vorwürfen konfrontiert sehen, wäre der Verband, gibt Schröcksnadel zu, "darauf nicht wirklich eingestellt". Er verweist aber auf Petra Kronberger, "unsere Frauenbeauftragte", und hofft, dass mögliche Betroffene "sofort zur Frau Kronberger gehen – und auch zu mir".

Vor einem halben Jahr hatte der ÖSV eine Anfrage des Wochenmagazins "News", ob und wie der Verband seine Trainer und Funktionäre für das Thema Missbrauch sensibilisiere, per Mail wie folgt beantwortet: Man sei sich "der Ernsthaftigkeit dieses Problems bewusst, aber in der glücklichen Lage, weder aktuell noch in der Vergangenheit einen derartigen Fall gehabt zu haben". Und: "Auf den Winter umgelegt könnte man sagen: 'Wir haben die Winterausrüstung, es braucht aber keine Schneeräumung, wenn es nicht geschneit hat.'"

"Aufwühlende und erschütternde Geschichte"

Nun kommentiert Petra Kronberger den Bericht Werdeniggs: "Das ist eine sehr aufwühlende und erschütternde Geschichte. Es braucht großen Mut, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber es ist wichtig, dass Nicola Werdenigg diesen Schritt getan hat." Kronberger hofft, dass sich mögliche aktuell betroffene Sportlerinnen direkt an sie wenden würden. Sie sagt dem STANDARD, dass sie Ende November mit Schröcksnadel einen schon länger vereinbarten Termin habe, bei dem exakt dieses Thema besprochen werden soll.

"Es ist ein ganz sensibles Thema", sagt die Salzburgerin, "mit dem man aufmerksam und sorgsam umgehen muss." Und sie spricht im Konjunktiv weiter. Im Fall des Falles würde sie erstens, das versteht sich von selbst, einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Und zweitens müsste man sich "in Ruhe überlegen, wie man damit umgeht und an wen man sich wendet". Kronbergers ÖSV-Funktion, die sie seit zwei Jahren hauptberuflich bekleidet, lautet offiziell "Konsulentin für Damensport". Ihre aktive Karriere hatte sie nach WM-Gold 1991 (Abfahrt) sowie zwei Olympiasiegen 1992 (Slalom, Kombination) im Alter von 23 Jahren überraschend beendet. Dass Schröcksnadel sie zurückholte, war auch eine Folge der ÖSV-Wickel mit Anna Veith. Kronberger solle, sagte Schröcksnadel bei ihrer Präsentation, vor allem auch verhindern, dass dem ÖSV zu früh zu viele weibliche Talente abhandenkämen.

Der schmale Grat

Das Schlagwort und den Hashtag MeToo hat es da noch nicht gegeben. Petra Kronberger setzt sich intensiv damit auseinander. Zu ihrem Termin mit Schröcksnadel nimmt sie eine Broschüre des Vereins "100 Prozent Sport" mit, der sich seit Jahren um die Gleichstellung von Männern und Frauen im Sport bemüht sowie sexualisierte Gewalt im Sport thematisiert und bekämpft. Unter dem Titel "Für Respekt und Sicherheit – gegen sexualisierte Übergriffe im Sport" gab und gibt es heuer eine Reihe von Veranstaltungen. Österreich ist eines von acht Ländern, die sich am EU-Projekt "Voice" beteiligen, dessen Ziel es ist, Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Laut einer deutschen Studie ist jede dritte Kaderathletin zumindest einmal mit einer Form sexualisierter Gewalt konfrontiert, jede neunte macht eine schwerwiegende sexuelle Gewalterfahrung.

Kronberger spricht von einem Grat, der im Sport vielleicht besonders schmal sei. "Man benützt seinen Körper, um Superleistungen zu bringen. Eine gewisse Nähe zu anderen Personen ist manchmal notwendig. Und da sollte sich jeder besonders bewusst sein, was noch ein respektvoller Umgang und was ein Übergriff ist." Jedenfalls müsse ein Übergriff nicht automatisch mit körperlicher Gewalt verbunden sein. "Es genügen", sagt Petra Kronberger, "auch wenn das nicht alle so empfinden, oft schon Worte." (Fritz Neumann, 20.11.2017)