Die Fragmente dürften Teile einer sehr frühen europäischen Venus-Figur gewesen sein.

Foto: J. Lipták, Kostenki 1, MAE

Halle (Saale) – Im Jahre 2012 entdeckten Archäologen einer internationalen Grabungskooperation am Fundplatz Breitenbach bei Zeitz im Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) einige über 30.000 Jahre alte Elfenbeinfragmente. Nun ist es Forschern gelungen, die Bruchstücke zu einer prähistorischen Figur zu rekonstruieren, die ihresgleichen sucht.

Der ausgedehnte Freilandsiedlungsplatz auf einem Sporn über dem Flüsschen Aga ist seit den 1920er-Jahren bekannt und stellt eine der nördlichsten Stationen der sogenannten Aurignacien-Kultur dar. Der Fundort wird auf ein Alter von 40.000 bis 33.500 Jahren datiert und zählt damit zur frühesten Phase der Homo-sapiens-Besiedelung in Europa.

Frühe Kunstwerke

Vor etwas mehr als 40.000 Jahren besiedelte der moderne Mensch erstmals Europa. Er traf dort auf Populationen von Neandertalern, die er nach und nach verdrängte, wenngleich es auch einen begrenzten genetischen Austausch zwischen beiden gab. Mit dem Auftreten des modernen Menschen lassen sich in Europa erstmalig Schmuck und Kunst nachweisen.

Der rund 34.000 Jahre alte Fundplatz Breitenbach erbrachte bereits in der Vergangenheit spektakuläre Ergebnisse. So konnten dort vor fünf Jahren winzige Perlen aus der ältesten Elfenbeinwerkstätte der Welt mit klar voneinander abgegrenzten Arbeitsbereichen nachgewiesen werden. Verarbeitet wurde in dieser Werkstatt nicht nur "frisches", sondern auch sehr viel älteres Mammutelfenbein, das offensichtlich vor deutlich mehr als 200.000 Jahren in Breitenbach angespült und abgelagert worden war.

Altsteinzeitliche Frauenstatuette

Als noch viel interessanter erwiesen sich Elfenbeinfragmente, die nun von Grabungsleiter Olaf Jöris und seinem Team als Teile einer Venus-Figur identifiziert wurden. Bei dieser Plastik handelt es sich um eine altsteinzeitliche, also paläolithische, Frauenstatuette.

Drei kleine, nur zwischen 1,4 Zentimeter und 1,8 Zentimeter große, auf den ersten Blick eher unscheinbare, jedoch sorgfältig oberflächig bearbeitete und polierte Elfenbeinfragmente aus Breitenbach ließen sich dabei in eine vollständige Figuren einpassen, wie sie etwa aus dem "Hohle Fels" in der Schwäbischen Alb bekannt sind.

Kultureller Umbruch

Im Aurignacien waren plastisch gearbeitete Statuetten bislang nur aus Höhlen der Schwäbischen Alb bekannt, die nicht zuletzt deshalb in diesem Jahr in das UNESCO-Welterbe der Menschheit aufgenommen wurden. Erst mit dem nachfolgenden Gravettien (33.500 – 23.500 vor heute) finden sich figürliche Plastiken dann im gesamten eurasischen Raum.

Die Funde von Breitenbach zeigen, dass figürlich gearbeitete Plastiken im Aurignacien Teil einer Tradition sind, die in Mitteleuropa entstand und nicht allein auf den süddeutschen Raum begrenzt war. Daneben zeigen sie, dass sich diese Idee erst mit dem Übergang vom Aurignacien zum Gravettien ausbreitete. Breitenbach steht damit an der Wende eines überregionalen kulturellen Umbruchs, der sich wohl als ein Wandel der damaligen Weltanschauungen und des sozialen Miteinanders verstehen lässt.

Seltene Funde

Freilandfundstellen aus dieser frühen Phase des Jungpaläolithikums sind relativ selten erhalten. Die meisten Funde dieser Zeit stammen daher aus Höhlen, die jedoch durch spätere Nutzung vielfach überprägt sind. Im ausgehenden Aurignacien lag Breitenbach wegen der eiszeitlichen Vergletscherung am nördlichsten Rand der bewohnten Welt. (Red, 21.11.2017)