Wir leben in bewegten Zeiten. Nicht nur politisch ist vieles im Umbruch, auch – und schon länger – in der Welt der Medien. Da vermischen sich ökonomische Krise, Selbstzweifel und politische Attacken gerade bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wir werden uns wohl noch wundern, was alles möglich ist, wenn die wüste Polemik gegen den "Staatsfunk" aus Deutschland voll nach Österreich überschwappt.

Die Vorzeichen sind nicht zu übersehen: Manch einer, der mit einer einzelnen Sendung oder Entscheidung nicht einverstanden ist, droht jetzt viel rascher mit einer Grundsatzdebatte über den ORF insgesamt. Und die kommerzielle Konkurrenz ist bereit, journalistische Standards zu unterbieten, um bei Politikern zu punkten. In der Vorbereitung von Interviews wurden wir zuletzt immer wieder aufgefordert, die Fragen im Vorhinein zu übermitteln – das sei bei "den Privaten" ja auch üblich.

In solchen Zeiten nehmen wir, die Redaktion des Report, den Walther-Rode-Preis besonders gern entgegen. Bestätigung kann man gut brauchen in Zeiten, wo ringsum viele an sich zweifeln. Besonders deutlich ist mir das vor ziemlich genau einem Jahr aufgefallen, als Kollegen, die die Chancen Donald Trumps auf einen Wahlsieg falsch eingeschätzt hatten, nicht nur handwerkliche Fehler suchten, sondern von der Überraschung in die allgemeine Zerknirschung verfielen und sich vorwarfen, sie selbst hätten die "wahren Sorgen der Menschen" nicht verstanden.

Insgesamt scheint es nun Mode zu sein, dass Kollegen, die als durchaus meinungsstark in Erinnerung sind, nun zu Zurückhaltung aufrufen und dazu, mehr zuzuhören. Der Report hat sich da wenig vorzuwerfen. Denn schon seit langem bemühen wir uns, vor allem bei der Aufbereitung gesellschaftspolitischer Themen von der Wahrnehmung des Publikums auszugehen, Dinge aufzugreifen, die viele als Problem oder Beunruhigung betrachten, und dann sachlich zu debattieren, zu relativieren und wo immer es geht auch mögliche Lösungen vorzustellen.

Wir hören gern zu, aber die "Stimme aus dem Volk" hat ebenso wenig absoluten Anspruch auf Wahrheit als ein Würdenträger.

Hang zur Belehrung

Einen Hang zu Belehrung oder Agitation kann ich im ORF aktuell nicht als Problem erkennen. In grauer Vorzeit schon eher: Ich denke an Ohne Maulkorb. Oder an Alfons Dalma, der uns Anfang der 90er-Jahre in einer Korrespondententagung darauf einschwören sollte, dass der ORF für die Unabhängigkeit Kroatiens und das Ende Jugoslawiens arbeiten müsse. Da waren damals viele dagegen, auch ich, mit einer Polemik, ebenso scharf formuliert wie karriereschädigend.

Das bloße Zuhören und Wiedergeben ist zu wenig, das tun heutzutage ohnehin schon die mehr oder eher weniger sozialen Medien im Übermaß. Journalismus ist viel, viel mehr: auch Hinterfragen, Einordnen oder Abwägen.

Gerade die Unmenge neuer, aber meist falscher Nachrichten, die in Sekundenbruchteilen um die Welt rasen, macht Profis umso nötiger, die wahr von falsch scheiden können, Tatsachen von Propaganda. Die Algorithmen der Internetkonzerne fördern – oder betreiben gar – die Zersplitterung der Gesellschaft in Subkulturen, abgekapselt vom Rest, erfüllt vom Echo vorgefasster Meinungen – und homogen wie optimale Zielgruppen für Werbung aller Art.

Wer, wenn nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk, kann da noch den demokratischen Diskurs organisieren und garantieren, den Austausch von Argumenten über weltanschauliche Trennlinien hinweg? Dieser Beitrag für den Zusammenhalt der Gesellschaft wird an Bedeutung gewinnen, er muss jedenfalls Vorrang haben vor der Idee, das Angebot des ORF quotentechnisch auf Zielgruppen zu verengen, ob das nun zwei scheinbare politische Großlager sind oder fünf "kulturelle Cluster".

Viel ist also zu tun für das öffentlich-rechtliche Medium im Land. Das braucht nicht nur kluge Leute, sondern auch die materiellen Voraussetzungen.

Macht der Bilder

In meinem Beitrag für das Buch "Die Macht der Bilder" zum 50-Jahre-Jubiläum der ORF-Reform 1967 habe ich dazu geschrieben:

"Inhaltlich arbeitet die Redaktion des "Report" derzeit in größerer Freiheit als viele vor uns, was genau wir berichten oder nicht, entscheiden wir selbst professionell. Kein Auftrag eines mächtigen Chefredakteurs oder selbstbewussten (General-)Intendanten hindert uns, und doch geht vieles nicht, vor allem in der geachteten Disziplin des investigativen Journalismus. Wer Fakten zu Tage bringen will, die verborgen bleiben sollen, braucht Zeit, Ressourcen und vor allem die Freiheit, nach langer Arbeit ohne verwertbares Ergebnis zu bleiben. Doch eine Redaktion, die um mehr als ein Drittel kleiner ist als vor einem Jahrzehnt, kann es sich nur selten erlauben, einem ganz vagen Verdacht nachzugehen, so interessant und relevant er auch klingen mag, da die Arbeitskraft sonst für anderes fehlt."

Magazine-Chefredakteurin Waltraud Langer, die uns nach Kräften unterstützt und uns ebenso ruhig wie entschlossen den Rücken frei hält, hat es übrigens ziemlich unvorsichtig gefunden, im Jänner unsere Freiheit zu loben, für ein Buch, das spät im Herbst erscheint. Aber die Präsentation ist schon nächste Woche, bis dahin wird der Satz schon noch halten.

Auf ewig garantiert ist unsere Freiheit allerdings nicht, und akut droht die größte Gefahr nicht "von oben" oder durch die berüchtigten "Interventionen" von außen – sondern von innen.

Ein kleines Beispiel: Letzten Dienstag, am frühen Nachmittag, erreicht uns in der Redaktion ein Anruf aus "türkisen Kreisen". Die Botschaft: Man sollte bloß nicht übersehen, dass SPÖ-Chef Kern in seiner Pressekonferenz soeben gesagt habe, sein Plan A sei sogar für seine eigenen Wähler zu schwer zu verstehen. Wir lächeln über den mäßig raffinierten Versuch, uns einen Spin anzudrehen, und lächeln auch noch, als wir ihn in der Online-Schlagzeile eines Boulevardblatts wieder erkennen. In den Qualitätszeitungen findet sich keine Spur davon, aber in einer Sendung im ORF klingt’s ganz ähnlich. Das ist dann nicht mehr lustig.

Journalistische Unabhängigkeit

Eigentlich ist die journalistische Unabhängigkeit im ORF ja sehr gut abgesichert. Falls – und so lange – wir selbst unsere Rechte in ORF-Gesetz und Redaktionsstatut wahrnehmen und sie nicht für Karrierewünsche verkaufen.

Der Preis wäre jedenfalls zu hoch, denn wer sich einer politischen Gruppe als Freund anbietet, darf sich nicht wundern, wenn die dann ständig Freundschaftsdienste von ihm verlangt, und wer sich andient, wird als Diener weiterleben müssen.

Dass vom Report niemand Gefälligkeiten erwarten kann, hat sich herumgesprochen. Und auch dieses Image ist Verdienst eines Teams, das sich nicht immer auffällig als Team präsentiert, aber umso besser funktioniert, je schwieriger die Aufgaben sind, die wir zu lösen haben. Ich bemühe mich nach Kräften, dieser Dialektik ein wenig nachzuhelfen, und Solisten auf einen Orchesterklang einzustimmen. Die Harmonien klingen viel heller, seit Susanne Schnabl ihre Energie in die Redaktion einbringt und den Report präsentiert.

Wir danken der Jury für ihre Entscheidung und den Preis. Ich persönlich freue mich doppelt, dass wir ihn ausgerechnet hier im Café Ritter entgegennehmen dürfen.

Ein paar hundert Meter von hier, in der Thaliastraße, bin ich aufgewachsen, umweht von den markanten Gerüchen des Grätzels, die je nach Windrichtung entweder von der Manner-Fabrik oder der Ottakringer Brauerei her geweht wurden. Das Café Ritter war ein Stück Innenstadt in der Vorstadt, ist mit der Zeit immer schäbiger geworden und versuchte schließlich, mit Glückspiel-Automaten zu überleben, vergeblich. Jetzt ist das Café prächtiger als jemals zuvor hier wieder erstanden. So wollen wir aus diesem Raum auch die Zuversicht mitnehmen, dass ehrwürdige Institutionen aller Art nach Krise und Gefahr eine neue Chance haben.

Sie müssen sie bloß nutzen. (Robert Wiesner, 21.11.2017)