"In unserem Hotel ging ich am helllichten Tag über den Gang, als sich eine Tür öffnete, ich von einem Trainer gepackt und in ein Zimmer gezerrt wurde. Er sagte, ich sei heute dran."

Foto: McIntosh/Illustration: Der Standard

Wien – Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Zu Wochenbeginn hatte die ehemalige österreichische Weltcupläuferin Nicola Werdenigg in der STANDARD-Serie "Sportmonolog" über sexualisierte Gewalt im Skisport der 1970er-Jahre berichtet. "Es hat Übergriffe gegeben. Von Trainern, von Betreuern, von Kollegen", blickte die 59-jährige Tirolerin auf ihre Zeit im Leistungssport zurück. Die Jahre seien von sexistischem Machtmissbrauch geprägt gewesen. "Ich kann das nur bestätigen, und zwar zu hundert Prozent", sagt am Dienstag eine weitere Ex-Weltcupläuferin zum STANDARD. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.

Werdenigg, österreichische Abfahrtsmeisterin von 1975 und Olympiavierte von 1976, hatte von Übergriffen bis hin zu einer Vergewaltigung durch einen Mannschaftskollegen berichtet. Damals sei sie 16 Jahre alt gewesen. "Ich habe mir die Schuld gegeben, wie es junge Frauen oft machen", sagte die Tirolerin.

"Diese Erzählung hat mich sehr aufgewühlt. Ich stehe zu Nicola, damals ist jeder irgendetwas passiert", sagt nun die ehemalige Teamkollegin. Aus Rücksicht auf die Familie will sie namentlich nicht genannt werden, untermauert aber Werdeniggs Bericht: "Sie war nicht die Einzige. Aber es hat sich damals niemand getraut, etwas zu sagen. Es war unmöglich, darüber zu reden. Ich habe wirklich darum kämpfen müssen, dass mir nichts Schlimmeres passiert."

"Bitte nur der nicht"

Übergriffe abzuwehren sei zu jener Zeit nicht einfach gewesen: "Ich musste mich mit Händen und Füßen wehren. Ich habe mir immer gesagt, ich lasse mich nicht brechen." Die Ex-Sportlerin geht ins Detail, spricht über Erfahrungen am eigenen Leib: "Wir waren in Übersee. In unserem Hotel ging ich am helllichten Tag über den Gang, als sich eine Tür öffnete, ich von einem Trainer gepackt und in ein Zimmer gezerrt wurde. Er sagte, ich sei heute dran. Ich dachte, bitte nur der nicht. In dem Raum war noch ein weiterer Mann. Ich wurde aufs Bett geworfen, sie waren betrunken, es war ganz brutal."

Der Übergriff konnte mit Müh und Not abgewehrt werden, dabei habe sich die Rennläuferin "fast die Hand gebrochen". Anschließend habe sie sich in einem Badezimmer eingesperrt und darauf gewartet, dass die beiden Männer verschwinden.

Werdenigg hatte die Zustände als "normal" bezeichnet, so sei das damals eben gewesen. "Stimmt", sagt ihre Kollegin, Übergriffe seien einem gewissen Selbstverständnis unterlegen: "Man ist schlafen gegangen, und plötzlich ist einer neben dir gelegen."

"Seine Mädchen"

Man solle nun aber nicht alle Zeitgenossen "über einen Kamm scheren, es waren solche und solche dabei. Es gab aber einen Trainer, der sah die Frauen im Team als seine Mädchen an. Das waren einfach seine Mädchen. Er hat sich alle Rechte herausgenommen. Das hatte sozusagen Tradition." Alkohol habe immer eine wichtige Rolle gespielt, "es ist viel geflossen, dann sind die Hemmungen gefallen".

Der Spaß am Skirennsport sei über all die Jahre im Weltcup trotzdem nie abhandengekommen, auch dank der Erfolge: "Ich war gerne Rennläuferin, der Sport war mein Leben." Ob sie später dem eigenen Nachwuchs eine Karriere im Skizirkus nahegelegt habe? "Nein, ich wollte den Kindern nicht zumuten, was ich alles gesehen und erlebt habe. Man wünscht ihnen einen besseren, respektvolleren Umgang. Wir waren ja Freiwild." (Philip Bauer, 22.11.2017)