Ein bedrückendes Gefühl begleitet einen bei jedem Schritt durch Ishinomaki, nahe der Stadt Sendai. Auf dem Weg quer durch die "frühere" Altstadt Ishinomaki Chuo wandelt sich das belebte und freundliche Entre des Bahnhofsvorplatzes in menschenleere Straßenzüge. Baustellen, Nachtclubs und Baulücken, die mittlerweile als Parkplätze genutzt werden, prägen heute das Erscheinungsbild der Stadt mit seinen 150.000 Einwohnern.

Bei einem nächtlichen Erkundungstrip bemerken wir dann doch noch etwas Leben in der Stadt. Angeheiterte Geschäftsmänner tummeln sich um einschlägige Nachtklubs, werden von Taxis gebracht und abgeholt – ähnlich einem Ort an der tschechischen Grenze. Die Zeit um Mitternacht ist die Geschäftigste.

Rote Zone

Ishinomaki war bis zum Tsunami 2011 bekannt für seine Fischindustrie. Wo früher Hafen, Industrie-, Lagerhallen und Gebäude standen, befindet sich nun nichts mehr – nur Brachland und natürlich Baustellen. Ein komplett urbaner Stadtteil verschwand einfach von der Oberfläche. Die Stadt sank um bis zu 1,20 Meter und verlor mehr als 3.100 seiner Einwohner. 75 Quadratkilometer wurden überflutet und mehr als 56.000 Gebäude beschädigt und zerstört. Der Müll der Zerstörung von damals wurde erst vor kurzem vollständig verbrannt oder recycelt.

Entlang der Flussmündung und Küstenseite werden Tsunamischutzwälle von bis zu sieben Metern Höhe errichtet. Die neuen Pläne weisen große Gebiete dahinter, bis tief ins Landesinnere, als rote Zone aus. Künftig ist dort das Wohnen verboten. Eine zweite Tsunamibarriere bildet die braune Zone – ein künstlich erhöhtes Gelände, das als Parkanlage errichtet wird und im Ernstfall als Überschwemmungsfläche dienen soll. So entstehen entlang der japanischen Küste für mehrere Milliarden Euro über 400 Kilometer neue Schutzwälle. Diese sind alles andere als unumstritten, denn sie trennen vielerorts Bevölkerung, Flora und Fauna vom Meer. Das Erscheinungsbild von bis zu 15 Meter hohen, massiven Betonwänden kann man sich nur schwer vorstellen.

Die Grundrisse von vielen Häusern sind nach wie vor sichtbar und erinnern an das Unglück.
Foto: Christian Zeitelhofer
Leere aufgeräumte Flächen und neu errichteten Gebäude. Ein Kontrast der die ganze Region prägt.
Foto: Christian Zeitelhofer

Optimistischer Blick nach vorn

Die Stadt versucht sich neu zu erfinden, bestehende Schäden so gut wie möglich zu beseitigen und zukünftigen vorzubeugen. Doch obwohl es auch zahlreiche wiederaufgebaute Plätze, Straßen und Gebäude gibt, sieht sich die Stadt mit zahlreichen Problemen wie Bevölkerungsrückgang und schlechter Lebensqualität konfrontiert. Verschiedene Start-Ups wollen Ishinomaki unter Zusammenarbeit von Bevölkerung, Architekten, Planern, Studenten und Stadtmitarbeitern wiederbeleben.

In der benachbarten Stadt Onagawa zeigt sich ein ähnliches Bild. Hier wird ein kompletter Stadtteil von der Küste auf höhere, nahegelegene Hügel umgesiedelt. Mitten in der Baustelle liegt immer noch eine umgerissene Polizeistation. Die Stadt diskutiert derzeit, ob es als Mahnmal belassen werden soll.

Der Abschnitt zum Meer hin ist nach wie vor eine Baustelle. Das Gebäude in Onagawa soll vielleicht als Mahnmal erhalten bleiben.
Foto: Christian Zeitelhofer

"Wir lassen uns nicht unterkriegen"

Mitarbeiter der Stadt berichten, dass die höchsten Wellen bis zu 18 Meter betrugen. Dabei hat das Kernkraftwerk in Onagawa kaum Schäden erlitten, obwohl es viel näher am Epizentrum des Erdbebens lag, als der Reaktor von Fukushima. Stolz ist man in Onagawa auf den neuen Einkaufsboulevard, der vom neuerrichteten Bahnhof bis zur Baustelle am Meer reicht. "Wir lassen uns von dieser Katastrophe nicht unterkriegen. Schritt für Schritt blicken wir der Zukunft entgegen, entlang der Straße des Wiederaufbaus", meint ein Bauarbeiter hoffnungsvoll.

Ein Stadtteil, der auf den Hügel im Hintergrund umgesiedelt werden soll. Die Welle war so hoch wie der grüne Hügel im Hintergrund.
Foto: Christian Zeitelhofer

Die Wiederherstellung des Stolzes

Am Rückweg zeigt der Besuch in einem Containerdorf, dass hier Jahre nach der Katastrophe noch immer Menschen leben müssen. Mitten in der sonst komplett aufgeräumten Landschaft stehen einzelne beschädigte Gebäude, die man nicht abreißen kann, weil die rechtmäßigen Besitzer nicht auffindbar sind.

Japan ist für vieles bekannt – unter anderem für Disziplin und den oftmals erprobten Umgang mit Naturkatastrophen. Dass man sich von der Dreifachkatastrophe 2011 nicht unterkriegen lässt, zeigen die zahlreichen angestrebten Maßnahmen. Geld spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Vielmehr geht es um die Wiederherstellung des Stolzes. Die der Nation zugefügten Wunden werden noch Jahre zum Abheilen benötigen. Spannend bleibt, ob der besuchten Region die komplette Wiederherstellung gelingt. (Christian Zeitelhofer, 4.12.2017)