Es war erwartbar, aber es ist das bisher wichtigste Urteil des Jugoslawien-Tribunals gegen einen Militär. Lebenslange Haft für den ehemaligen General der bosnisch-serbischen Armee, Ratko Mladić, der den Tod und die Vertreibung tausender Bosnier zu verantworten hat, war die einzig gerechte Konsequenz. Gleichzeitig ist die bosnische Gesellschaft auch 22 Jahre nach Kriegsende noch weit von einer Klarheit über Verantwortung und Schuld sowie einer Neuorientierung entfernt.

Die nach wie vor völkisch-nationalistische Führung des Landesteils Republika Srpska will auch heute keinen gemeinsamen bosnischen Staat, sondern die Trennung und Abspaltung entlang ethnisch-religiöser Linien. Das wird zwar kein einziges echtes Problem der Bürger lösen, die Wirtschaft ankurbeln oder die Arbeitslosigkeit verringern. Aber es dient dem Machterhalt der politischen Klasse. Die völkische Ideologie wurde niemals aufgegeben.

"Es ist ein Prüfstein für jede Gesellschaft, ob sie in der Lage ist, nicht nur auf die eigenen Opfer zu verweisen, sondern auch eigenes Fehlverhalten einzugestehen. Erst dann ist es möglich, über ein gemeinsames Gedenken nachzudenken", sagt der deutsch-französische Historiker Nicolas Moll, der in Sarajevo lebt. Nimmt man Selbstkritik als Maßstab, so sieht die Bilanz nach Jahren der Arbeit des Tribunals in allen Gesellschaften auf dem Balkan sehr mager aus.

Trotzdem kann man viel aus dem Mladić-Prozess lernen. Klar wurde etwa, dass das größte Verbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa, der Genozid in Srebrenica, gegen Menschen gerichtet war, die nur ein gemeinsames Merkmal hatten: muslimische Namen. Dem Massenmord, den Mladić ausführen ließ, war eine massive antimuslimische Propaganda vorausgegangen. Bosnier mit muslimischen Namen wurden als Extremisten, Radikale und Terroristen bezeichnet. Den Leuten wurde weisgemacht, dass von ihnen pauschal eine Gefahr ausgehe.

Angesichts der Vorurteile, denen Muslime in Europa heute ausgesetzt sind, und der wachsenden Anfeindungen gegen sie gilt es innezuhalten. In Bosnien-Herzegowina konnte man bereits in den 1990er-Jahren miterleben, wie gegen bestimmte Gruppen gerichtete Menschenfeindlichkeit geschürt werden kann, damit sie sich über die Jahre verankert und schließlich zum Schlimmsten führt. Das Mladić-Urteil ist daher eine Mahnung an uns alle, Menschen nicht Gruppen zuzuordnen, sondern als individuelle Mitbürger zu sehen. (Adelheid Wölfl, 22.11.2017)