Training ist für Spitzensportlerinnen nicht immer so lustig wie bei diesem Pressetermin im Sommer in Wörgl: Harte Arbeit, Druck zum Erfolg und Leben in einer eigenen "Blase" machen verwundbar.

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Was die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg und eine Teamkollegin im STANDARD von sexuellen Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung durch einen "Kollegen" in den 1970er-Jahren erzählt haben, ist erschütternd. Fast genauso schlimm ist, was danach passiert (oder auch nicht passiert) ist.

Da meldete sich einerseits just die ehemalige Skilegende Annemarie Moser-Pröll zu Wort, die in Servus TV lapidar meinte: "Da gehören immer zwei dazu." Keine Rede von Mitgefühl oder gar Frauensolidarität – ihr, Moser-Pröll, war ja schließlich "nie etwas passiert".

Andererseits befragte der STANDARD auch den ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel zur Causa, und dieser beteuerte, ihm sei "nie etwas zu Ohren gekommen". Dann schwadronierte er darüber, dass vielleicht "manchmal ein rauer Ton" herrsche und es auch "das eine oder andere Pantscherl" gebe, und schließlich: "Das waren damals sicher andere Zeiten."

Andere Zeiten?

Wirklich? Ist das so? Die Frage muss man stellen, wenn man sieht, wie wenig der mächtigste Mann im Skiverband versteht, wie solche Gleichsetzungen auf die Opfer der damaligen Übergriffe wirken müssen. Noch einmal, zum Mitschreiben: Ein "Pantscherl" ist etwas anderes als die Tatsache, dass Trainer über Schutzbefohlene eine Form von Allmacht ausüben, die alle Grenzen sprengt.

Dass so etwas überhaupt möglich ist, dafür braucht es ein spezielles Umfeld. Dieses Umfeld war offenbar der Skiverband in den 1970er-Jahren. Dass sich eine derartige Unkultur radikal verändert und verbessert, wie Schröcksnadel behauptet, dafür braucht es nicht nur "andere Zeiten" – das bedarf Eingreifens und Aufarbeitens.

Nicht "normal"

Sollte das im Skiverband der Fall gewesen sein, hat Schröcksnadel das bis dato aus unerfindlichen Gründen verschwiegen. Dann könnte er aber auch nicht behaupten, ihm sei von alldem noch nie etwas zu Ohren gekommen. Also liegt der Schluss nahe: Nichts wurde thematisiert, also auch nichts aufgearbeitet – warum soll sich dann das, was in den 1970er-Jahren laut Nicola Werdenigg "normal" war, grundlegend geändert haben? Das ist eher unwahrscheinlich.

Der Skiverband steht bei dieser Thematik nicht alleine da. Missbrauch und Übergriffe passieren leichter in abgeschlossenen Gemeinschaften und Systemen, wo wenig bis gar nichts nach draußen dringt. Das war in katholischen Internaten so, das war auch in den weltlichen Kinderheimen der Stadt Wien so. Sowohl Kirche als auch Stadt haben – gezwungenermaßen, ebenfalls durch die Enthüllung erschütternder Erlebnisse von Opfern – ihre Vergangenheit inzwischen aufgearbeitet. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die gesamte Republik damals darin versagt hat, Kinder in Bildungs- und Erziehungsinstitutionen zu schützen. Die Entschuldigungsgeste im Parlament war ein wichtiges Symbol. Eine nachträgliche Abschaffung der Verjährungsfristen für die begangenen Delikte muss der nächste Schritt sein – und hier kommt wiederum der Skiverband ins Spiel.

Umfassend intim

Auch hier handelte es sich, beginnend bei den Skiinternaten bis hin zu den Kadern, um abgeschlossene Systeme, über die wenige Männer mit absoluter Gewalt herrschten. Das war umso intensiver, als es im Sport sehr körperlich – und damit im umfassenden Sinn auch intim – zugeht. Alles müssen Athletin und Athlet von sich offenlegen und geben, wollen sie, bis an die Grenzen konditionell und muskulär optimiert, erfolgreich sein. Sich wehren, das geht in einem solchen Umfeld noch schlechter bis gar nicht. Man musste mitmachen oder seine Träume begraben. Möglicherweise waren auch nicht nur Mädchen Opfer, sondern auch Buben, junge Burschen.

Das kann man nicht durch Aussagen wie "Heute würden wir kurzen Prozess machen" wegdrücken. Da muss schon mehr getan werden, um das Ansehen und die Autorität dieser wichtigen sportlichen Institution zu schützen.

Der Skiverband muss sich ohne Scheuklappen und schonungslos seiner Vergangenheit stellen. Unterlagen von damals müssen durchforstet, nach möglichen Opfern muss aktiv gesucht werden, man sollte sie ermuntern, sich zu melden. Es geht vielleicht auch um Schadenersatzansprüche – aber primär geht es darum, dass Menschen, denen Leid zugefügt wurde, in diesem Leid gesehen und anerkannt werden. Werdeniggs Aussagen wären Anlass genug. (Petra Stuiber, 23.11.2017)