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Der Internationale Währungsfonds unter der Leitung von Christine Lagarde rechnet für heuer mit einem Wachstum der Weltwirtschaft von 3,6 Prozent.

Foto: AP / Michael Sohn

Daran müssen sich die von der Finanz- und Eurokrise geplagten Anleger erst gewöhnen: Die Konjunktur lief im ausklingenden Jahr 2017 auf Hochtouren – und das nicht nur in Europa, sondern in den meisten wichtigen Wirtschaftsräumen.

So rechnet der Internationale Währungsfonds für vergangenes Jahr mit einem Wachstum der Weltwirtschaft von 3,6 Prozent, das heuer mit 3,7 Prozent sogar noch ein Alzerl höher ausfallen soll – und damit merklich schneller als zuletzt mit Wachstumsraten um die drei Prozent, als auch die Schwellenländer eine Hängepartie ihrer Wirtschaftsleistung ausstehen mussten.

Mancherorts steht die Wirtschaft nun aber schon derart unter Dampf, dass Ökonomen bereits um Atem ringen. Etwa in Deutschland, wo nach fünf Jahren Sonderkonjunktur die sogenannten Wirtschaftsweisen zuletzt vor "deutlichen Anzeichen für eine Überauslastung" warnten. Eine volle Auslastung der Erzeugungskapazität gilt als riskant, weil dadurch das Risiko von Fehlinvestitionen steigt, die einen darauffolgenden Abschwung beschleunigen können.

In Richtung Normalität

Diese Warnung ist gleichzeitig auch als Beleg für die Schwierigkeit einer einheitlichen Geldpolitik im Euroraum aufzufassen, denn anders als mancher Peripheriestaat der Währungsunion würden Länder wie Deutschland oder Österreich keine Nullzinsen benötigen – von einem Anleihenkaufprogramm ganz zu schweigen.

Allerdings ist für die Europäische Zentralbank (EZB) unter ihrem italienischen Chef Mario Draghi der Zusammenhalt des Währungsraumes höchstes Gut, weshalb sie weiterhin ihre Geldschleusen weit offen hält. Allerdings wird sie im nächsten Jahr wohl Farbe bekennen müssen, wann und wie sie gedenkt, ihre Geldpolitik wieder in Richtung Normalität zu trimmen.

Die für 2018 angekündigte Halbierung ihrer monatlichen Anleihenkäufe ist diesbezüglich nur ein erster Schritt, laut den Aussagen führender EZB-Währungshüter soll das Kaufprogramm gänzlich beendet werden, bevor erste Zinsschritte erfolgen können. Besonders Letzteres könnte sich durchaus als heikles Unterfangen entpuppen – wie die diesbezüglichen Erfahrungen der US-Notenbank Fed zeigen.

Schrittweise erhöhen

Obwohl die Vereinigten Staaten verglichen mit Europa im Konjunkturzyklus weiter vorangeschritten sind und einen homogeneren Wirtschaftsraum darstellen, liegt die im nächsten Jahr aus dem Amt scheidende Fed-Chefin Janet Yellen verglichen mit früheren Erwartungen mit ihren Zinserhöhungen deutlich unter Plan.

Derzeit liegt der US-Leitzins bei knapp über einem Prozent und damit immer noch sehr tief. Zum Vergleich: Bis zur Finanzkrise galt ein Niveau rund um vier Prozent als neutraler Zinssatz, der die US-Wirtschaft weder bremsen noch befeuern soll.

Zudem kündigt sich mit Yellens Übergabe an ihren Nachfolger Jerome Powell per Anfang Februar nächsten Jahres ein größerer personeller Umbruch in der Notenbank an. Mitte des Jahres wird nämlich auch William Dudley, Chef der New Yorker Fed und enger Vertrauter Yellens, seinen Posten räumen, die Suche nach einem Nachfolger ist angelaufen.

Generell ist vorerst nicht zu erwarten, dass Powell den Kurs der Notenbank stark ändern wird – schließlich hat der seit 2012 im Führungsgremium der Fed vertretene Republikaner niemals gegen einen Beschluss der Notenbank votiert. Beobachter gehen daher davon aus, dass er nicht wesentlich von Yellens Bestreben abweichen wird – nämlich zunächst die Zinsen auch weiterhin schrittweise zu erhöhen.

Zyklus der besonderen Art

Allerdings stellt der aktuelle Konjunkturzyklus besondere Herausforderungen: Nach dem tiefen Absturz während der Finanzkrise dauert die wirtschaftliche Erholung schon vergleichsweise lange, ohne jedoch die Dynamik früherer Aufschwünge zu erreichen. Legt man die Zeitdauer als Maßstab an, dürfte sich der Zyklus bereits seinem Ende nähern, während bei der Stärke der Erholung noch Luft nach oben besteht.

In diesem Zusammenhang ist wohl auch der Vorschlag von Notenbanker John Williams zu verstehen: Der Chef des Fed-Ablegers in San Francisco hat unlängst angeregt, das Inflationsziel der US-Notenbank flexibler auszulegen, nämlich eine Teuerung von zwei Prozent nicht mehr jährlich, sondern über einen Wirtschaftszyklus anzustreben. Sprich, die Fed könnte den Preisauftrieb für eine gewisse Zeit über dem Idealwert tolerieren, wenn dieser zuvor länger darunter geblieben ist.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Fed müsste den Aufschwung nicht durch Zinserhöhungen abwürgen, bloß weil die Inflation über dem Zielwert liegt – und das könnte diesmal nicht wie einst bei Leitzinsen über den als neutral geltenden vier Prozent der Fall sein, sondern auch darunter.

Bisher hat der US-Aktienmarkt die Straffung der Geldpolitik angesichts laufend neuer Rekordstände sehr gut verkraftet, und auch am Anleihenmarkt sind Tumulte ausgeblieben. Aber selbst wenn die Rahmenbedingungen günstig wirken, sollten Anleger im nächsten Jahr Wirtschaftsdaten und Notenbanken genau im Auge behalten – denn bekanntlich ist die Börse keine Einbahnstraße. (Alexander Hahn, Portfolio, 2017)