Die Vollgeldinitiative soll Banken verbieten, Geld zu schöpfen.

Illustration: David Mathews

Der Legende nach haben die katholischen Mönche in St. Gallen Freibier ausgeschenkt, wenn die Protestanten zum Gottesdienst riefen. Mit der Taktik "Helles statt Höllenfeuer" hatten die Klosterbrüder die potenziell große Wirkung kleiner Anreize verstanden. Eine Lektion, die in St. Gallen nie vergessen wurde, wie es scheint.

Im Jahr 2009 versuchte die Stadtverwaltung mit 50-Franken-Gutscheinen, die Bewohner zu mehr Konsum zu bewegen, statt sich der protestantischen Enthaltsamkeit hinzugeben. Auslöser war diesmal nicht ein Religionskonflikt, sondern die globale Finanzkrise. Während Banken zu kollabieren drohten, hielten sich verunsicherte Konsumenten zulasten der lokalen Wirtschaft zurück.

Die Gutscheinaktion hatte eher symbolischen Charakter, gesteht der damals zuständige Stadtkämmerer Reinhold Harringer ein. Die Frage der gestörten Geldzirkulation durch eine Finanzkrise ließ den nunmehrigen Pensionisten aber nicht los. Zusammen mit einer Gruppe von Ökonomen und Aktivisten machte er, was jeder ordentliche Schweizer macht, wenn er um die Zukunft der Eidgenossenschaft bangt. Er lanciert eine Volksabstimmung.

In diesem Fall die sogenannte Vollgeldinitiative. Sie soll Banken verbieten, Geld zu schöpfen. Gesetzliches Zahlungsmittel soll unter der alleinigen Kontrolle der Schweizerischen Nationalbank stehen.

Privileg der Geldschöpfung

Für viele mag das selbstverständlich klingen. Wer sonst druckt Noten und prägt Münzen? Tatsächlich würden aber 90 Prozent der Franken von privaten Banken in Umlauf gebracht, sagt Harringer. Jedes Mal, wenn eine Bank einen Kredit vergibt, wächst die Geldmenge. Die zusätzlichen Franken basieren somit auf Schulden, an denen die Bank dank Kreditzinsen verdient.

Das Privileg der Geldschöpfung habe die Banken dazu verleitet, übermäßige Summen zu verleihen, so die Kritik der Vollgeldanhänger. Dadurch würden sich Preisblasen bilden, etwa bei Immobilien, die wiederum der Besicherung neuer Kredite dienen, bis der Teufelskreis wie 2008 im Kollaps endet.

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Aktion der Vollgeldinitianten: Ein als Nationalbankpräsident Peter Jordan Maskierter durchschneidet die Schnüre der Marionette "Helvetia" – die personifizierte Schweiz – und erlöst sie von der Kontrolle der Banker. Zumindest bei diesem Schauspiel, kollabierte sie nicht.
Foto: Reuters / Denis Balibouse

Die Initiatoren wollen den Banken die Kreditvergabe nicht wegnehmen. Die Geldinstitute müssten allerdings die gesamten Mittel für Kredite bei Sparern, Aktionären oder bei der Nationalbank vorab beschaffen. Letztere hätte somit mehr Kontrolle über das Finanzsystem. 100 Prozent des elektronischen Geldes auf Bankkonten wären gesetzliches Zahlungsmittel, wie Bargeld. Bank-Runs, bei denen Sparer in Panik mehr Geld von ihren Konten abziehen wollen, als die Bank in Reserve hat, wären passé.

Als Nebeneffekt der zentralen Geldschöpfung durch die Nationalbank fallen Gewinne an, die als "Bürgerdividende" an das Volk ausgezahlt werden sollen, erklärt Harringer. Das sind aber keine Riesenbeträge, fügt er hinzu.

Ein Land als Versuchslabor

Gegner der Initiative gibt es viele. Das gesamte Parteienspektrum lehnt den Vorschlag ab oder verweigert zumindest bisher die Unterstützung. Der Verband der Schweizer Unternehmen warnt vor einem riskanten Experiment, das weltweit einzigartig wäre. Die Versprechen, keine Krisen und freies Geld für alle, seien nicht realistisch.

"Wenn jetzt im Rhein auch noch Milch und Honig flössen, wäre das Schlaraffenland Schweiz perfekt", heißt es in einem Positionspapier der Wirtschaftsvertreter. Hingegen würden die Risiken unterschätzt: Der Franken könnte weltweit an Vertrauen verlieren, wenn die Notenbank Geld einfach verteilt, statt dafür Gegenwerte wie Devisen, Anleihen oder Gold aufzukaufen.

Außerdem sei nicht sicher, dass Finanzkrisen mit der Einführung des Vollgeldes vorgebeugt wäre, erklären Urs Birchler und Jean-Charles Rochet, zwei Ökonomen der Uni Zürich: Empirisch sei nicht belegt, dass Kreditvergabe die Wurzel von Spekulationsblasen sei. Oft würden die Geldinstitute auf Nachfrage der Privatwirtschaft reagieren, statt den Stein ins Rollen zu bringen.

Kritiker befürchten auch, dass die Notenbank zu hohem politischem Druck ausgesetzt wäre, wenn sie allein über die Geldversorgung entscheiden muss. Geschweige denn das Potenzial für folgeträchtige Fehleinschätzungen, wenn eine zentrale Instanz so viel Einfluss hätte.

Voraussichtlich stimmen die Schweizer 2018 über die Vollgeldinitiative ab. Harringer weiß, dass die Chancen gegen den geballten Widerstand aus Politik und Wirtschaft nicht gut stehen. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass die Bürger anders abstimmen. (Leopold Stefan, 26.12.2017)