Die freie Szene hängt definitiv nicht am Futtertrog: Teilnehmer an einem Workshop des Künstlers Daniel Aschwanden in China.


Foto: Daniel Aschwanden

Wien – Wenig Grund zur Freude haben die Künstlerinnen und Künstler der Wiener freien Tanz-, Theater- und Performanceszene. Die Theaterreform von 2003 wurde in den vergangenen zehn Jahren schrittweise rückgebaut, die Förderungen sind seither gesunken. Seit jüngst auch noch die den freien Gruppen gewidmeten Spielstätten in Turbulenzen manövriert wurden, erhebt die Szene Einspruch. Und den bringt sie in einem kürzlich ins Leben gerufenen Zusammenschluss unter dem Namen "Wiener Perspektive" zum Ausdruck.

Vorgestellt hat sich diese – von rund 200 teilweise international hochanerkannten Kulturschaffenden unterstützte – Initiative, die sich außerhalb der offiziellen Szenevertretung Interessengemeinschaft Freie Theater (IGFT) gebildet hatte, bereits im September mit einer Pressekonferenz. Seitdem wurde mit Hochdruck weitergearbeitet. Nun gab es am vergangenen Freitag in der Wiener Nordbahnhalle unter dem Motto "First Fictional Season" erste Resultate zu vermelden.

Bereits vor einigen Jahren hatte es Versuche eines Zusammenschlusses der Szene gegeben. Doch die verliefen im Sande – die Künstlerschaft lässt sich nicht gern politisch organisieren. Dass sie es in Eigenregie nun doch tut, zeugt von dem Druck, unter den sie sich gesetzt sieht.

Nicht auf Augenhöhe

War in der Theaterreform noch ein Verhältnis auf Augenhöhe zwischen Kulturadministration und Künstlerschaft zu sehen, so orten die Kunstschaffenden heute das Gegenteil: Das Tanzquartier bleibt bis 25. Jänner geschlossen, die Performing-Arts-Abteilung des Wuk startete erst vor kurzem neu, dem Brut-Theater wurde eine von zwei Spielstätten genommen, und für die Saison 2017/18 ist es auch noch aus seiner Künstlerhaus-Spielstätte verbannt.

Umstritten ist auch die Personalpolitik des Kulturamts: etwa weil Leitungsposten zu spät besetzt wurden. Für die Zeit von baulichen Maßnahmen gibt es keine Ersatzspielorte wie beim Tanzquartier oder nur Notlösungen wie im Fall des Brut. Außerdem laufen heftige Diskussionen über die künftige organisatorische Trennung des Spielorts Werk X Eldorado (Innenstadt) vom Werk X im Kabelwerk (zwölfter Bezirk).

Bei all dem vermisst die Szene jegliche Kommunikation seitens der Kulturpolitik: "Wie war es möglich, dass die Verantwortlichen nicht mit uns Künstlern gesprochen haben?" Gern hätten die zahlreich in der Nordbahnhalle präsenten Vertreter der Wiener Perspektive mit solchen aus dem Kulturamt diskutiert. Doch diese waren offenbar verhindert.

Die Wiener Perspektive hat ihre "First Fictional Season" auf Basis von 450.000 Euro ausgerufen, die ihrer Ansicht nach der Szene durch die Vorgangsweise des Kulturamts verlorengehen. In Arbeitssitzungen wurden nun erste Vorschläge entwickelt, wo ein solches Budget einzusetzen wäre. Dabei geht es um den Mangel an leistbaren Räumen, um das Fehlen von Einrichtungen für zeitgemäße Bildung und Forschung und um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die freien Kunstschaffenden.

Außerdem rechnete eine Vertreterin der IGFT vor, wo und wie sehr die Förderungen in den vergangenen Jahren real gesunken sind. Der Widerstand geht über eine Kritik am Budget hinaus: Ein aktueller Unesco-Bericht besagt, dass Österreich derzeit keine unterstützende und ermutigende Umgebung für Kunstschaffende darstellt. (Helmut Ploebst, 27.11.2017)