Schon im Wahlkampf hat die ÖVP – hier im Bild die damalige Generalsekretärin Elisabeth Köstinger – Kürzungen bei den Sozialleistungen für Zuwanderer gefordert.

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Eine Grundregel der Sozialpolitik lautet: Kürzungen muss man gut verstecken, den Ausbau von Leistungen macht man so sichtbar wie möglich. Wie eine Gruppe von Forschern aus Dänemark und Deutschland kürzlich festgestellt hat, sind etwa bei Pensionsreformen Erhöhungen meist gut sichtbar (zum Beispiel durch Anhebung des nominalen Auszahlungsbetrags), während Kürzungen eher versteckt werden (etwa als Änderung der Bemessungsgrundlage oder als Anpassung der jährlichen Indexierung).

Die politische Motivation hinter diesem Phänomen ist unschwer nachzuvollziehen: Die meisten wohlfahrtsstaatlichen Programme genießen hohe Popularität – von den Pensionen über die Gesundheitsversorgung und das Pflegegeld hin zu Familienleistungen. Wer solche Programme beschneiden will, tut das lieber still und heimlich.

In aller Öffentlichkeit zelebrieren

Es gibt aber eine Ausnahme von der Regel: Wenn es um Sozialleistungen für Zuwanderer geht, werden Leistungskürzungen nicht versteckt, sondern in aller Öffentlichkeit zelebriert. Sogar zur Wahlwerbung eignen sich solche Vorschläge – sei es die Anpassung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder an die lokale Kaufkraft (was in den allermeisten Fällen einer kräftigen Senkung entspricht) oder die Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte.

Wie die Grafik unten anhand von Daten des European Social Survey 2016 zeigt, sieht ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung den gleichberechtigten Zugang zu Sozialleistungen als etwas an, das man sich durch Gegenleistung erwirbt (40 Prozent) oder überhaupt erst mit der Staatsbürgerschaft bekommt (26 Prozent). Jeder sechste Befragte (16 Prozent) meint sogar, dass Zuwanderer nie dieselben sozialen Rechte wie Einheimische erlangen sollten.

Dass man von Zuwanderern erwartet, dass sie sich Ansprüche auf Pensionen oder Arbeitslosengeld erst durch Beitragszahlungen erarbeiten, ist natürlich logisch. Aber genauso gibt es Bereiche des Sozialstaats, wo nicht das Versicherungsprinzip gilt. Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld etwa funktionieren nach dem Universalitätsprinzip – alle bekommen dasselbe, unabhängig von Einkommen und geleisteten Beiträgen (Ausnahme ist hier das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld). Wieder andere Leistungen sind an Bedürftigkeit geknüpft. Dazu gehören die Mindestsicherung und viele Beihilfen.

Sinn von Sozialhilfe ad absurdum geführt

Will man etwa den Anspruch auf Mindestsicherung an Beitragszeiten knüpfen, führt man den Sinn von Sozialhilfe ad absurdum – diese soll genau jene auffangen, die nur schwer Anschluss an den Arbeitsmarkt finden. Die politische Diskussion über Mindestsicherung und Familienbeihilfe zeigt uns klar, dass überall dort, wo Leistungen nicht aufgrund individueller Beiträge "erarbeitet" wurden, die Bereitschaft, Zuwanderern gleichen Zugang zu gewähren, am schnellsten bröckelt. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 29.11.2017)