Was auch immer das Thema ist: Bei der Darstellung von Szenen aus dem Erdmittelalter vergessen Illustratoren selten darauf, ein paar Flugsaurier malerisch über den Himmel ziehen zu lassen.
Illustration: Donald E. Davis, Nasa

Peking/Wien – Als der italienische Gelehrte Cosimo Alessandro Collini 1784 als Erster das Fossil eines Flugsauriers beschrieb, glaubte er kurioserweise, es mit einem Meerestier zu tun zu haben. Nicht weil es nach einem sonderlich guten Schwimmer aussah, sondern deshalb, weil nur in ozeanischen Tiefen Platz für ein so seltsames Tier gewesen sein könne.

Nach ein paar Jahrzehnten war diese Irrmeinung zu den paläontologischen Akten gelegt, und spätestens mit Arthur Conan Doyles Roman "Die vergessene Welt" von 1912 verankerten sich die Flug- oder Pterosaurier auch in der Populärkultur – wie die Dinosaurier, mit denen sie übrigens nur sehr weitläufig verwandt waren.

Ein Fund verändert alles

Der Bekanntheitsgrad dieser Ikonen des Erdmittelalters täuscht etwas darüber hinweg, dass man erstaunlich wenig über ihre Lebensweise weiß. Mehr als 140 verschiedene Arten wurden bereits identifiziert – der Normalfall ist allerdings, dass man pro Spezies lediglich ein oder zwei Exemplare kennt. Und selbst die sind zumeist nur in Fragmenten vorhanden, da die fragilen Knochen der leichtgebauten Flieger nicht so gut erhalten blieben wie die der massiveren Dinos.

Fundstätte respektive Fundgrube: In der Turpan-Senke fand sich eine riesige Ansammlung von Pterosaurierknochen und -eiern. Die Ausgrabungen gehen immer noch weiter.
Foto: Alexander Kellner (Museu Nacional/UFRJ)

Eine Entdeckung in der nordwestchinesischen Turpan-Senke aus dem Jahr 2005 veränderte alles. Nach mehreren Jahren Grabungstätigkeit stellte Xiaolin Wang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften 2014 im Fachjournal "Current Biology" mit Hamipterus tianshanensis eine neue Spezies vor. Diese läuft seitdem "alteingesessenen" Arten wie Pteranodon den Rang ab, weil die Datenmenge bedeutend größer ist: Es wurden die Knochen von dutzenden, vielleicht sogar hunderten Exemplaren beiderlei Geschlechts und verschiedener Altersstufen gefunden.

Eine solche Masse weist darauf hin, dass die Tiere gesellig waren und in Kolonien lebten – auch wenn die Fossilienfundgrube nicht die Kolonie selbst war, sondern ein von den Elementen entführtes Zerrbild: Vermutlich fegten Stürme über die Kolonie und trugen Eier und tote Tiere in einen nahegelegenen See, wo sie sich in Schichten ablagerten.

In einem Folgeartikel, der in der aktuellen Ausgabe von "Science" erschienen ist, fokussiert Xiaolin Wangs Team auf die ebenfalls gefundenen Eier. Vor der Entdeckung in der Turpan-Senke konnte man sämtliche dreidimensional erhalten gebliebenen Pterosaurier-Eier an den Fingern einer Hand abzählen. Hamipterus hat nun bereits 215 geliefert, weitere könnten sich in noch tieferen Schichten verbergen.

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Hamipterus ist der neue Star der Flugsaurierforschung. Gefunden wurden Individuen mit eineinhalb bis dreieinhalb Meter Flügelspannweite. Hier im Bild ein Männchen mit dem für diese Art typischen löffelförmigen Kamm.
Illustration: REUTERS/Chuang Zhao

In 16 dieser Eier blieb die Form der Knochen von unterschiedlich weit entwickelten Embryos erhalten, was Aufschlüsse über ihre Ontogenese ermöglicht. Die Jungen konnten offenbar gleich nach dem Schlüpfen laufen, da sich ihre Hüftknochen früh verfestigten. Bis zum ersten Flug hieß es hingegen lange warten, da die Skelettteile, an denen die Brustmuskulatur ansetzt, zunächst noch sehr schwach ausgeprägt waren.

Das Fehlen von Zähnen interpretieren die Forscher zudem als Hinweis darauf, dass die Eltern die Babys fütterten und beschützten. Experte Denis Charles Deeming von der University of Lincoln rät in einem begleitenden Kommentar in "Science" allerdings zur Vorsicht bei Interpretationen – es könnten sich auch noch andere Erklärungen für den Entwicklungszustand der Pterosaurierbabys finden lassen.

Sämtliche Eier in der Fundstätte sind eingedrückt und verformt, da sie keine harte Schale hatten.
Foto: Wang et al

Davon abgesehen darf man sich die Pterosauriergesellschaft nicht wie eine Möwenkolonie mit Reihen von Nestern vorstellen. Die Eier hatten keine harte Kalkschale, konnten also nicht von den Eltern direkt bebrütet werden, sondern mussten in feuchtem, warmem Boden vergraben werden.

Diese Einschränkung in Sachen Lebensraum könnte auch ein Faktor gewesen sein, warum die Vögel die Pterosaurier letztlich überflügelten. Die Feder-Dinos hatten zwar erst 80 Millionen Jahre nach den Pterosauriern das Fliegen gelernt. Zu Lebzeiten von Hamipterus, vor 120 Millionen Jahren, begann sich der Himmel aber schon mit der neuen Konkurrenz zu füllen. (Jürgen Doppler, 30.11.2017)

Kein Brüten, aber vielleicht Schützen und Füttern: So sehen die chinesischen Forscher die Fürsorge von Hamipterus-Eltern für ihre Kinder.
Illustration: Chuang Zhao