Pro: Keine Angst vor dem Bürger

von Günther Oswald

Die Österreicher sind keine Schweizer. Es gebe hierzulande keine Tradition für Volksabstimmungen, und darum würde ein Ausbau der direkten Demokratie nach Vorbild der vielgepriesenen Nachbarn nie und niemals funktionieren. So lautet ein zentrales Argument jener, die in einer stärkeren Einbindung der Bürger üblen Populismus oder gar eine Gefahr für die Demokratie sehen. Nur: Es ist ein Totschlagargument.

Um eine Tradition entwickeln zu können, muss man irgendwann mit dem Ausbau beginnen. Der durchschnittliche Schweizer ist nicht intelligenter oder reflektierter als der durchschnittliche Österreicher. Klar: Es braucht seriöse Rahmenbedingungen – etwa eine Vorabprüfung durch den Verfassungsgerichtshof, ob ein Verstoß gegen Grund- oder Menschenrechte vorliegen würde. Und natürlich müssen die Bürger umfassend und möglichst neutral über Vor- und Nachteile einer Abstimmungsvorlage informiert werden. Das sind aber technische Fragen, die sich lösen lassen. Die Neos, die Türkis-Blau für eine Reform bräuchte, haben hier bereits gute Vorschläge vorgelegt.

In einer modernen Demokratie sollte man sich aber nie davor fürchten, die Meinung der Bürger zu hören. Wer das tut, stellt in Wahrheit die Demokratie an sich infrage. Das Wahlvolk nur einmal alle fünf Jahre bei Wahlen zu befragen ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Das ist ein bevormundendes Verständnis von Politik der Marke vorgestern. (Günther Oswald, 30.11.2017)

Kontra: Keine Allmacht für die Masse

von Nina Weißensteiner

Bei allem Respekt vor diesem Nationalratswahlergebnis, aber die FPÖ hat einen gewissen Hang zum mitunter äußerst ungesunden Volksempfinden. Das wird sich auch bei einer blauen Regierungsbeteiligung kaum ändern. Wenn man Strache, Kickl und Co nun das Einleiten von Volksabstimmungen nach erfolgreich absolviertem Volksbegehren erleichtert, darf sich das Land jetzt schon auf ungustiöse Zwischenwahlkämpfe anstatt sachlich orientierter Koalitionsarbeit gefasst machen.

Denn das Beschwören, dass minderheitenfeindliche oder europarechtliche Agenden bei Referenden ohnehin nicht abgefragt werden dürfen, ist wenig glaubwürdig. Die Freiheitlichen, die in ihren Reihen über viele versierte, auch gefinkelte Juristen verfügen, können Mittel und Wege finden, um die Massen trotzdem zu mobilisieren – etwa gegen mehr Minarette im Land oder für weniger Einmischung aus Brüssel. Wie die Vergangenheit zeigte, lässt sich auf semantischen Umwegen dann eben trefflich gegen lasche Bauverordnungen oder grenznahe Atomkraftwerke aufbegehren, um auf diese Weise antimuslimische oder gemeinschaftsbeeinträchtigende Plebiszite anzuzetteln.

Was erschwerend hinzukommt: Populisten jeder Couleur dürfen hierzulande stets mit tatkräftiger Unterstützung der drei Krawallblätter rechnen – weil empörungsgetriebene Schwarz-Weiß-Lösungen für hochkomplexe Angelegenheiten garantiert noch mehr Auflage machen. (Nina Weißensteiner, 30.11.2017)