"Viel empfunden, nichts erworben. / Froh gelebt und leicht gestorben": Ferdinand Sauter.

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Er habe sich zwei Strophen merken können, schrieb 1841 Alfred Meißner an Moritz Hartmann. Sie hätten Furore gemacht, die Prager Poeten würden Ferdinand Sauter um eine Abschrift seines genialen Gassenliedes anflehen. Die drei Namen sind heute unter Germanisten kaum bekannt – dabei stehen sie für eine bemerkenswerte Richtung österreichischer Literatur.

Der 1804 im Salzburgischen geborene und 1854 in Wien verstorbene Ferdinand Sauter war einer jener Widerspruchsgeister im Vormärz, die partout nicht in ein Biedermeierkasterl passen. Die bürgerlichen Konventionen nahm er nicht unreflektiert oder gar nicht hin, gegen Unterdrückung und Misere wandte er seine oft scharfe, oft hintergründige Kritik.

Zu Lebzeiten waren er, der menschliche Kontakte in den Wirtshäusern brauchte, und seine Lyrik populär, obwohl er eine Buchpublikation strikt ablehnte. Verbreitung fand er in Zeitschriften, durch Flugblätter und vor allem mündliche Überlieferung; das Gassenlied war buchstäblich ein Gassenhauer. Einige Strophen sind verschollen, die uns bekannten geben allemal einen starken Eindruck: "Auf der Gassen waltet Gleichheit / Zwischen Armut, zwischen Reichheit; / Arme betteln, Reiche prassen / Auf der Gassen, auf der Gassen."

Knapp nach dem Tod erschien eine erste Sammlung seiner Texte, andere folgten – alle miserabel editiert. Bis sich Ludwig Laher des fast Vergessenen annahm. Mit dem Roman Aufgeklappt hat er Sauter 2003 ein literarisches Denkmal gesetzt; nun legt er eine Auswahl der Dichtungen vor: die erste quellenkritische, anhand der Originalmanuskripte erarbeitete Ausgabe. Zudem rundet Laher den Band mit seinem großartig reichhaltigen Essay ab, der Sauters Leben und Werk sowie wesentliche Kontexte, Entstehung und Bedeutung der Texte erläutert. Präzise weist er nach, wie schlampig, ja tendenziös mit den Schriften verfahren wurde.

Scheinidyllen

So sind im tollen, 1835 entstandenen Gedicht Mein Sonntagmorgen gerade politische Passagen umgeschrieben oder gar ausgelassen worden, etwa: "Östreich, wo ein neuer Kaiser / Herrschet über alte Knechte, / Gut und löblich heißt das Schlechte, / Söldner schalten und Karthäuser." Das fast zweihundert Verse lange Stimmungsbild führt von Szenen bürgerlich geruhsamer Scheinidylle ins weniger Gemütliche, beeindruckend zeugt es von Breite und Tiefenschärfe der Lyrik des Ferdinand Sauter.

Sein Werk vermittelt – wohl autobiografisch erlitten – Einblicke in die Psyche des lyrischen Ich, es stellt Lebensgefühle dar, vom heiteren Sonnenschein bis zu düsteren Tönen eines resignativen Liebesgedichts. Das Jahreszeitengenre benützt der Unangepasste, um es ironisch zu wenden und auch mit Selbstkritik zu versetzen. In Frühlingsnähe heißt es: "Schon singen schwärmende Poeten / Ihr schmachtend Lied, / Schon sieht man alte Mütter beten, / Wo Andacht glüht." Und in der letzten Strophe: "Schon werden meine Verse fader".

Charakteristisch für Sauter ist es, dass er unversehens von der allgemeinen Sentenz ins Gesellschaftspolitische zielt wie nach den anheimelnden Ausflugsbildern in Herbstgedanken: "Ach, und viele vegetieren / Unter Frost und Frühlingsluft, / Und sie schwitzen und sie frieren / Ohne einer Blume Duft."

Nationalismus, Umweltzerstörung und Kommerz als Gefahren

Lahers Auswahl macht sowohl die unterschiedliche Qualität dieses Werkes deutlich, in dem Gelegenheitstexte neben der feinen Charakterreihe Verschiedene Leute stehen, als auch die politische Dimension. Etwa die aktuell anmutende Strophe in Was uns bleibt: "Was uns bleibt, wenn unsre Zeitgeschichte / Verstummen muß in allen Schriften, / So daß sie nimmer Unheil stiften, / Was uns bleibt? – Die Opernhausberichte."

Oft kommt Sauter auf die gewichtigste Forderung des Vormärz, die Freiheit. Anders jedoch als die meisten liberalen Stimmen der Zeit sieht er nicht die USA als Vorbild. Wie Nikolaus Lenau (Die drei Indianer), von dessen Besuch an seinem Krankenbett ein zentrales Gedicht in Sauters Schaffen zeugt, verweist er in Mein Sonntagsmorgen auf Verbrechen des Kolonialismus. Anhand des Langpoems betont Laher die Aktualität Sauters, der frühzeitig die Gefahren des Nationalismus, der Umweltzerstörung und des Kommerzes zu bedenken gab. "Wo ein siechendes Jahrtausend / Allwärts wandelnd, keinen Wandel / Schuf, das Leben nur ein Handel / Ist, mit jedem Laster hausend."

Seinen Essay beginnt Laher mit einer Kritik an der alten Zuschreibung, die österreichische Sprachkunst sei im Grunde unpolitisch. Umso bedenklicher erscheint es, dass im Österreichischen Literaturmuseum Gegenbeispiele zu kurz kommen. Autoren des Vormärz wie Sauter, Meißner, Hartmann und Karl Beck, deren Werke inhaltlich interessant und ästhetisch durchaus gelungen sind, bleiben ebenso unerwähnt wie etwa die politische Dimension von Lenau. Das interessierte Publikum kann dafür auf dem Hernalser Friedhof Sauters Grabinschrift lesen, ein ungeheuer modern anmutendes Gedicht:

Viel genossen, viel gelitten,
Und das Glück lag in der Mitten;
Viel empfunden, nichts erworben,
Froh gelebt und leicht gestorben.
Frag nicht nach der Zahl der Jahre,
Kein Kalender ist die Bahre,
Und der Mensch im Leichentuch
Bleibt ein zugeklapptes Buch;
Deshalb, Wandrer, zieh doch weiter,
Denn Verwesung stimmt nicht heiter.

(Klaus Zeyringer, Album, 7.12.2017)