Wenn man Vater und Mutter gemeinsam zum Reden bringen will, muss man sie schon selbst zusammensetzen: Ivette Löcker nähert sich in "Was uns bindet" mit großer Sensibilität den eigenen Eltern an.

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Auf intime Porträts spezialisiert: Ivette Löcker.

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Wien – Hinter der Holzvertäfelung des Zimmers wuchert der Schimmel. Der Vater will es zuerst nicht recht glauben, dass hier alles kaputt sein soll. Er relativiert die Warnungen des Baumeisters, wie gesundheitsgefährdend der Schimmel sei, und druckst ein bisschen herum. Doch der Experte zeigt sich bestimmt in seinen Diagnosen: Halbherzige Lösungen wie bei dieser Renovierung würden sich nicht lohnen. Da zahlt man am Ende unter Garantie drauf.

Die in ihrer Anhäufung von Elend auch komische Szene bringt Ivette Löckers Dokumentarfilm Was uns bindet auf den Punkt. Denn halbherzig, könnte man sagen, ist bei ihren Eltern auch das eheliche Arrangement. Schon vor vielen Jahren haben sie sich auseinandergelebt und getrennt. Doch sie haben sich nicht weit voneinander niedergelassen. Die Mutter bewohnt immer noch den ersten Stock des Hauses im Salzburger Lungau, der Vater lebt in den kargen Erdgeschoßräumen darunter. Hin und wieder treffen sie sich auf einen Kaffee. Meist aber geht man sich aus dem Weg.

"Was uns bindet" – Trailer
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Löcker, die schon lange in Berlin lebt, ist für Was uns bindet zu ihren Eltern zurückgekehrt. "Um die Distanz zu finden, ihnen auf vorurteilsfreie Weise entgegenzutreten", erzählt die 1970 geborene Filmemacherin im Standard-Gespräch, "brauchte es das Alter. Und die Kamera, die für mich wie ein Schutzschild war und auch Objektivierung gebracht hat. Dadurch habe ich die beiden in der Rolle von Protagonisten sehen können. Ich konnte dann besser abstrahieren: Das ist ein altes Paar, das auf bestimmte Weise miteinander umgeht."

Doch es ist keine abgedichtete Beobachtung, die Was uns bindet zu einem außergewöhnlich intimen Dokumentarfilm macht, sondern Löckers eigene Perspektive. Die ist empathisch, ja voller Liebe, ohne die Zwiespältigkeit der Situation zu übersehen – die Unzulänglichkeiten und Versäumnisse ihrer Eltern, ihren Selbstbetrug.

"Es ist auch ein Film, der von verpassten Chancen erzählt", sagt Löcker über die darin spürbare Melancholie. "Von Anfang an habe ich mir allerdings vorgenommen, dass der Film etwas Tragikomisches haben muss. Es war eine Herausforderung, dann nach dieser Haltung zu suchen und den Humor in den alltäglichen Situationen zu finden."

Die Falle des Eigenheims

Im aufrichtigen Blick auf das Private offenbart sich auch ein größeres gesellschaftliches Streben. Das Ideal der Elterngeneration lautete noch, aus eigener Kraft ein Eigenheim finanzieren zu können. Dass dies immer noch als Narrativ aus besseren Zeiten gilt und so auch vermittelt wird, konnte man im letzten Wahlkampf wieder erleben. Bei Löcker wird das Eigentumsdenken jedoch als mögliche Falle enttarnt, die individuelle Freiheiten beschneidet: Was uns bindet – den Titel muss man unbedingt als Hinweis auf die Bürde eines Besitzes verstehen, der eigene Faktizität schafft und Menschen gelehrt hat, das eigene Glücksstreben hintanzustellen.

Löcker kann dies nur bestätigen – als Kind habe sie beispielsweise darunter gelitten, dass ganze Urlaube geopfert werden mussten, weil das Geld schon in die Kreditabzahlung floss. Die Frage nach dem Erbe sei auch einer der Ausgangspunkte des Films gewesen. In einer Szene kann man nun sehen, wie enttäuscht der Vater darüber ist, dass sich die Töchter über den Besitz nicht ausgelassen freuen. "Es bedeutet für uns nicht dasselbe wie für ihn. Rational kann er das nachvollziehen, emotional aber nicht." Es gebe zu viele Eltern, die inzwischen in einem zu großen Haus leben.

Ist Löckers Blick zurück auf die Eltern auch die Überprüfung ihrer Entscheidung für ein ganz anderes Leben? Die Filmemacherin zögert zunächst bei der Antwort: "Vielleicht geht damit auch eine gewisse Wurzellosigkeit einher, und eine Ahnung davon war wohl auch eine Motivation für den Film. Was habe ich mit dem Lungau zu tun, wie hat er mich geprägt – die ganze Frage der Heimat."

Und weiß sie nun, wo diese für sie liegt? "Ich finde, es gibt keine eindeutige Lösung. Es ist jedenfalls kein geografischer Ort. Das Gefühl von Heimat habe ich vor allem, wenn ich meine Eltern besuche." (Dominik Kamalzadeh, 2.12.2017)