Mediengipfel Lech, Medienakademie 2017

Der Vorarlberger Verhaltensökonom und Medienberater Gerhard Fehr, CEO des Zürcher Beratungsunternehmens "FehrAdvice & Partners", untersucht das Verhalten von Menschen vor einem wirtschaftlichen Hintergrund. Am Mediengipfel in Lech hielt er die Keynote zum Thema "Instant Behavioral Change Engine für das Medienunternehmen von morgen. Wie man aus anonymen digitalen Surfern wieder profitable Leser macht". Mit Mirijam Haller und Valentin Ledoldis sprach er darüber, wie der digitale Journalismus auf Veränderungen reagieren muss.

Herr Fehr, als Verhaltensökonom erforschen Sie den Menschen und sein Verhalten im wirtschaftlichen Kontext. Wie tickt der Mensch?

Man muss zwei Ebenen unterscheiden: Was treibt ihn individuell und auf einer aggregierten Ebene an. Die Verhaltensökonomie beschäftigt sich mit letzterem. Wir sind keine Psychologen und nicht interessiert an pathologischen Ausprägungen menschlichen Verhaltens. Was uns interessiert, ist das systematische Verhalten von Gruppen und Gesellschaften oder Zielsegmenten zu analysieren und zu verstehen. Grundsätzlich sehe ich aber vier Verhaltenstreiber: Der Mensch ist kognitiv limitiert, er verfügt über eine begrenzte Willenskraft und folgt kulturellen und sozialen Normen sowie sozialen Präferenzen.

Wie verhält sich denn der Mensch?

Die Verhaltensökonomie geht im Gegensatz zur klassischen Ökonomie davon aus, dass sich der einzelne Mensch irrational verhält und sich das in der Gruppe sogar noch verstärkt. Das ist mittlerweile auch zigfach empirisch belegt worden. Diese Erkenntnis ist besonders für Manager wichtig, damit sie nicht von einem falschen Menschenbild ausgehen. Auch in der Politik spielt das eine große Rolle. Nur so finden politische Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, auch in der Bevölkerung Zuspruch.

Was bedeutet das für Journalismus im Allgemeinen und für den digitalen Journalismus im Besonderen?

Das muss man im Kontext sehen: Was passiert mit dem Leser, was passiert mit dem Fernsehzuschauer, was passiert mit dem Facebook-User? Als Verhaltensökonomen fragen wir nicht aus der Perspektive des Journalisten, wir schauen uns die Zielgruppe an. Die strategische Frage lautet deshalb: Wie kann und soll der Journalismus auf die Veränderung reagieren? Wie kann man Journalismus wieder verwertbar machen?

Wir haben einen starken "motivated belief", will heißen, dass wir ein Medium aufgrund seiner Qualität konsumieren. Das ist aber nur eine Teilwahrheit. Menschen sind gar nicht in der Lage, journalistische Qualität einzuschätzen – der User würde eine erhöhte Qualität gar nicht wahrnehmen.

Wie wir dieses Problem lösen, wissen wir nicht. Es ist ein neues Phänomen. Wir brauchen Experimente und Kreativität. Das will die Verhaltensökonomie leisten, angewandt auf die Probleme der Medienindustrie. Wenn wir die verhaltensökonomischen Prinzipien heranziehen, könnten schnell Lösungen gefunden werden.

Welche Rolle spielen Qualität und Inhalte im Journalismus dann noch?

Jedes Medium hat für sich eine Strategie. Die Frage nach der Qualität eines Mediums ist schlussendlich eine Entscheidung, die vom Herausgeber gefällt wird. Es ist fundamental, dass wir eine Medienbranche mit Herausgebern und Verlegern haben, die eine qualitative Ausrichtung wollen und die vor allem auch genügend Geld haben, um diese umzusetzen. Ansonsten verlieren wir in unserer Gesellschaft einen elementar wichtigen Bestandteil der Demokratie. Wir brauchen freie Medien, um die politische Prozesse zu kontrollieren.

Ihre Forschungen haben gezeigt, dass Bezahlsysteme für digitalen Content nicht wirklich funktionieren. Warum?

Ich persönlich habe kein einziges funktionierendes, datenbasiertes Resultat gesehen, wo Paywalls die Probleme der Medienindustrie lösen. Möglicherweise gibt es Paywalls, wo es funktionieren kann. Mein Appell wäre, dass man es einfach in Experimenten testet.

Warum haben denn Leserinnen und Leser so lange für ein Zeitungsabonnement bezahlt?

Das hat einen einfachen Grund. Im Zeitungssektor lag der generelle Preis für Zeitungen nie bei null. Es war daher ein historischer Fehler der gesamten Medienindustrie, im Digitalen Gratiscontent einzuführen. Das hat die Präferenzen der Konsumenten verschoben und das gesamte Spiel verändert, da nun der generelle Preis bei null lag. Jetzt kommt man von den Gratismedien nicht mehr so leicht weg.

Mit Ihrem Bruder Ernst Fehr haben Sie für die Vorarlberger Online-Plattform "vol.at" ein Projekt konzipiert, bei welchem der User nicht zur Kasse gebeten, sondern im Gegenteil für seine Loyalität zur Website mit digitaler Währung belohnt wird. Warum diese Strategie?

Der Leser soll belohnt werden, wenn er die Webseite benutzt. Das Prinzip dabei ist, dass wir dem User etwas zurückgeben wollen. Er soll nicht durch Paywalls bestraft werden, das ist richtig. Dadurch gibt er uns gleichzeitig aber auch etwas zurück, da er mit der digitalen Währung länger auf der Website bleiben wird.

Das klingt uneigennützig, aber welchen Nutzen hat der Anbieter?

Das Ziel ist, eine langfristige Beziehung mit den Lesern oder Kunden aufzubauen. Denn ein Unternehmen kann nur eine gut funktionierende kooperative Beziehung auch monetarisieren. Es ist ein Geben und ein Nehmen. Das ist auch nicht uneigennützig, sondern fundamental notwendig. Ein Staat, der es nicht schafft, mit dem Bürger kooperativ umzugehen, verliert ja auch seine Daseinsberechtigung, weil die Menschen in einfach nicht akzeptieren. Und gerade in der Medienbranche ist der Kontakt zu den Lesern wichtig, um sie langfristig zu binden.

Stichwort Fake-News: Medien haben mit Vertrauensverlust zu kämpfen. Was muss der Journalismus tun, um die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen?

Ich glaube, dass Fake-News eine riesengroße Chance für den traditionellen Journalismus sind.

Inwiefern?

Menschen haben das Bedürfnis, nicht systematisch angelogen zu werden. Wir haben starke "motivated beliefs" im Journalismus, wie die Welt funktioniert. Früher sprach man von Ideologien, über diese lässt sich nicht streiten. Das ist eines der Grundprobleme des klassischen Journalismus, dass er zu ideologisch und zu wenig evidenzbasiert vorgeht.

Wird Print aussterben?

Meiner Meinung nach – das ist aber nicht datenbasiert – haben wir Menschen ein unendliches Bedürfnis danach, Haptik zu erleben. Ich weiß nicht, ob es Zeitungen im heutigen Format noch geben wird. Klar ist, dass Menschen, die nicht digital lesen, einen Wettbewerbsvorteil haben, denn man merkt sich die Dinge anders. Etwas digital zu lesen bedeutet, es sich im Schnitt nicht zu merken. Wir haben keine Speicherkapazitäten für digitalen Content. Darüber hinaus führt der digitale Konsum von Medien, insbesondere zu Randzeiten, dazu, dass die Schlafqualität enorm sinkt.

Ich denke, es wird eine neue Art von Printmedien geben, die stärker mit der digitalen Welt verknüpft sein werden. Darüber hinaus werden Printmedien in Zukunft die schnellen digitalen Inhalte systematisch korrigieren. Wie sich die Branche tatsächlich entwickeln wird, ist allerdings schwer abzuschätzen. (Mirijam Haller, Valentin Ledoldis, 2.12.2017)