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Viele hegen den Wunsch nach Theresa May als "eiserner Lady".

Foto: Reuters / Toby Melville

Ihre Vorgänger haben stets die Augen gerollt, wenn ein europäischer Termin anstand. Nicht schon wieder der blöde EU-Kram, stöhnten Labour-Mann Tony Blair oder der Konservative David Cameron gern. Für Theresa May stellt der heutige Besuch in Brüssel hingegen fast so etwas wie eine willkommene Abwechslung dar. "May in der Krise", "May unter Druck", "Mays Autorität in Zweifel", schreiben die britischen Zeitungen seit Monaten. Im Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker darf die britische Regierungschefin wenigstens auf ein wenig Respekt hoffen.

Gewiss lässt sich argumentieren: Der Respekt ist relativ und teuer erkauft. Relativ zu ihrem Brexit-Chefunterhändler David Davis, den auf EU-Seite kaum jemand ernst nimmt, genießt sie hohes Ansehen. In den entscheidenden Fragen bewegte sie sich zum richtigen Zeitpunkt, dabei beraten von ihrem EU-Sherpa Oliver Robbins. Dass dieser im September als beamteter Staatssekretär aus dem Brexit-Ministerium ins direkt May unterstellte Kabinettsbüro wechselte, stellt sich als Entmachtung für Davis heraus.

Einer der Punkte betrifft die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien nach dem Austritt – Raffaela Schaidreiter vom ORF aus Brüssel ("ZiB 13").
ORF

Teuer erkaufen musste sich May den Fortschritt in den Brexit-Verhandlungen, der dem Termin mit Juncker zugrunde liegt. Allem Anschein nach folgen die Briten nun den EU-Berechnungen und akzeptieren Bruttoverbindlichkeiten von bis zu 98 Milliarden Euro. Auch bei den anderen, bisher umstrittenen Themen – den Rechten von EU-Bürgern auf der Insel sowie der zukünftigen Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden – scheint London den Vorstellungen auf EU-Seite entgegenzukommen.

Überzeugungsarbeit

Viel spricht dafür, dass May mit dem von London ersehnten Preis aus Brüssel zurückkehren kann: Junckers positive Bewertung der britischen Zugeständnisse würde es den 27 Partnerländern ermöglichen, beim Gipfel kommende Woche den Weg zu Verhandlungen über die zukünftigen Handelsbeziehungen frei zu machen. Umgekehrt muss May die Skeptiker in Fraktion und Kabinett davon überzeugen, dass für den geregelten Austritt aus der EU im März 2019 erhebliche, auch schmerzhafte Zugeständnisse nötig sind.

Wie schwierig diese Aufgabe ist, verdeutlichte am Sonntag ein offener Brief altbekannter Europahasser wie Nigel Lawson und John Redwood. Die früheren Minister wollen von der EU bis Ende März Handelszugeständnisse sehen und bestehen darauf, dass die Rechtssprechung des EuGH nicht mehr gelten soll. Notfalls solle May sämtliche Zahlungen verweigern, fordern die Abgeordneten.

Da ist sie wieder, die alte Sehnsucht nach der harten Kompromisslosigkeit einer Margaret Thatcher ("I want my money back"). May hat die Erinnerung an die legendäre Vorgängerin (1979 bis 1990) selbst geschürt, ihre Brexit-Reden vor Jahresfrist klangen wie Wunschzettel der Tory-Nationalisten. Dann brach sie, von den Umfragen ermutigt, die Unterhauswahl vom Zaun, bei der ihr das Volk den Erdrutschsieg und damit den härtesten Brexit verweigerte.

Sechs Monate nach dem Wahldebakel bewohnt May noch immer die Downing Street. Mittlerweile ist statt einer "eisernen Lady" eher eine englische, also wenig emotionale Angela Merkel zu sehen. May sitzt alles aus: bereits erfolgte Ministerrücktritte; längst fällige, aber noch nicht erfolgte Ministerrücktritte; düstere Wirtschaftszahlen. Das böse Verdikt des Economist – May sei "eine Frau von durchschnittlichen Überzeugungen und höchstens durchschnittlichen Fähigkeiten" – ändert nichts daran: Niemand, der sich für fähiger hält, könnte die Chefin derzeit stürzen.

Umstrittenes Bündnis

Höchstens der Kardinalfehler aus den Paniktagen vom Juni mag ihr zum Verhängnis werden: Damals schlossen die Tories ein Bündnis mit der Unionistenpartei Nordirlands (DUP), die einer Lösung der Irland-Frage im Weg steht. Dabei bleibt den Belfaster Ultras etwas anderes als die Unterstützung der May'schen Minderheitsregierung gar nicht übrig – riskieren sie doch bei Neuwahlen den Triumph von Labour-Chef Jeremy Corbyn, der den Anschluss Nordirlands an den republikanischen Süden befürwortet.

Bis zum nächsten Problem wurstelt sich die Premierministerin weiter durch. Und einstweilen deutet nichts darauf hin, dass sich an der Konstellation etwas ändert, die sie an der Macht hält. (Sebastian Borger aus London, 4.12.2017)