So sehen sichere Sieger aus: Gilles Simeoni (rechts) und Jean-Guy Talamoni.

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Bescheidenheit sei keine korsische Eigenschaft, meinte einst ihr illustrer Abkömmling Napoleon Bonaparte. Ganz anders der Wahlsieger vom Sonntag, Gilles Simeoni: Der 50-jährige Bürgermeister von Bastia, Sohn eines legendären Unabhängigkeitskämpfers, spricht sehr gemäßigt von einem "ungewöhnlichen Wahlausgang". Tatsächlich hatte seine Liste Pè a Corsica (Für Korsika) schon im ersten Durchgang der Territorialwahlen mit 45,4 Prozent einen Triumph erzielt, der selbst optimistische Erwartungen übertraf. Weit abgeschlagen die übrigen Rechts- oder Linksparteien. Die Pariser Medien sprechen von "Tsunami", "Erdbeben" oder "Schock".

Plötzlich werden die früher oft belächelten Politamateure, die mit Kriminellen und Terroristen verbandelt waren, die Inselpolitik beherrschen. Noch vor der Stichwahl am nächsten Sonntag scheint ausgemacht, dass Simeoni im Inselrat mit absoluter Mehrheit regieren wird. Die bürgerlichen "Regionalisten" kamen bisher auf 14,9, die konservativen Republikaner auf 12,8 Prozent. Die Linke (5,7) und der Front National (3,3) scheitern an der Sieben-Prozent-Hürde. Auch La République en Marche von Präsident Emmanuel Macron schneidet mit 11,3 Prozent sehr schwach ab.

Simeoni ist es mit seinem moderaten Auftreten in der Tat gelungen, der Bewegung der Nationalisten ein neues Image politischer Seriosität zu verleihen. Obwohl die Frage der Einwanderung – 50.000 der 340.000 Inselbewohner sind Maghrebiner – brisant ist, verzichtete Simeoni auf Anspielungen auf die in Korsika sehr präsenten christlichen Traditionen.

Drei Maximalforderungen

Sein Bündnis erhebt drei Hauptforderungen: Franzosen sollen in Zukunft mit dem Statut von "Ortsansässigen" von den einheimischen Korsen unterschieden werden. Das dürfte auch für ausländische Hausbesitzer gelten, während normale Ferienreisende nicht betroffen wären. Des Weiteren soll Korsisch zu einer zweiten Amtssprache werden. Analog zu den baskischen wollen die korsischen Separatisten auch ihre "politischen Gefangenen" in Haftanstalten auf der Insel holen.

Für Frankreich war bisher keine dieser Forderungen auch nur im Ansatz erfüllbar. Simeoni wäre aber nur bei einem Entgegenkommen des Staates bereit, auf die Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit zu verzichten. Seine Wahlallianz mit dem radikaleren Jean-Guy Talamoni lässt die Lösung offen: Offiziell sprachen die beiden ungleichen Partner am Montag nur von "voller Autonomie".

Talamoni ging allerdings einen Schritt weiter und provozierte: "Korsika ist eine Nation. Wir sind Unabhängigkeitskämpfer, aber zugleich auch Demokraten. Wenn die Korsen in zehn oder 15 Jahren die Unabhängigkeit wollen, wird das niemand verhindern können."

Gegen völlige Unabhängigkeit

Laut Umfragen sind die Korsen heute mehrheitlich gegen die völlige Unabhängigkeit. Politisch entscheidend wird in den nächsten Jahren sein, ob die Wahlallianz der "natios" halten wird. Talamoni dürfte durch die neuen Mehrheiten versucht sein, radikaler als bisher aufzutreten – was die Bewegung entzweien könnte.

Darauf setzt zweifellos Macron, der Erfahrung mit der Spaltung von Gewerkschafts- und anderen Fronten hat. Als aufgeschlossener Politiker kann er sich den Forderungen aus Bastia und Ajaccio nicht einfach verschließen, auch wenn die Autonomiegelüste der Korsen nicht in sein Staatsverständnis passen. Mit der Wahl vom Sonntag hat sich der forsche Präsident aber auf jeden Fall ein Problem eingehandelt, das ihn während seiner fünfjährigen Amtsdauer verfolgen wird. (Stefan Brändle aus Paris, 4.12.2017)