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Symbolfoto aus dem Judosport. Betroffene in der Causa Seisenbacher prangern das abwehrende Verhalten des Judoverbands an. Sie fordern eine Aufarbeitung der Vorfälle und die Einrichtung funktionierender Kontrollstrukturen.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/SCOTT BARBO

Wien – In der Debatte über Missbrauch im Sport melden sich nun erstmals zwei Betroffene in der Causa Seisenbacher zu Wort. Sie wurden laut rechtskräftiger Anklage von ihrem Trainer, dem ehemaligen Judo-Doppelolympiasieger Peter Seisenbacher, als damals noch Unmündige schwer sexuell missbraucht. Sie fordern, dass sich die betroffenen Verbände bei Übergriffen auf Nachwuchssportler dem Thema stellen.

"Es ist keine Lösung, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Totschweigen und Aussitzen hilft niemandem", erklären die Betroffenen, die mit ihrer Identität nicht an die Öffentlichkeit gehen wollen, gegenüber der APA. Gerade das sei in ihrem Fall die Devise des Österreichischen Judoverbands gewesen. Wie dort auf die Vorwürfe gegen Seisenbacher reagiert beziehungsweise nicht reagiert wurde, hätten sie als "offensiv verharmlosend" und "aggressiv abwertend" erlebt.

Abwehrmechanismen

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hatten Verantwortliche des Judoverbands wiederholt den Wunsch erklärt, dass nichts dran sei. So habe Verbandspräsident Hans Paul Kutschera gehofft, dass sich die gegen "das österreichische Aushängeschild im Judosport" gerichteten Anschuldigungen "nicht bewahrheiten".

Bei den Betroffenen löste das Unverständnis aus: "Das war schon heftig. Der Verband hat reflexartig abgewehrt, sich selbst geschützt, so nach dem Motto: Es möge bitte nicht stimmen, dann haben wir als Verband kein Problem, mit dem wir uns womöglich beschäftigen oder gar Konsequenzen ziehen müssten." Schließlich habe der Verband damit der Öffentlichkeit signalisiert, dass er hoffe, dass nicht die Wahrheit gesagt wurde, also Lügen verbreiten würden.

Schlag ins Gesicht

Die betroffenen Nachwuchssportler hatten mit derartigen Reaktionen gerechnet – "leider". Als "Schlag ins Gesicht" bezeichnen sie die Aussagen von Frauenbundestrainer Marko Spittka, der im April in einem STANDARD-Interview angab, dass "Seisenbacher im Judosport niemanden beschäftigt, dass darüber nicht gesprochen wird", dass das nicht wichtig für sie sei. Für die Betroffenen habe sich das "wie eine Verhöhnung angefühlt".

Den Verantwortlichen werfen die beiden Betroffenen ein mangelndes Bewusstsein dafür vor, dass diese auch eine Schutzverpflichtung haben. "Diese Reaktion zeigt uns, dass es dort kein Problembewusstsein gibt. Totschweigen und Aussitzen scheint die neue Devise zu sein." Solche Verbände seien gefährlich und kein sicherer Ort für Kinder, Jugendliche und Frauen, weil sie jegliches Problem ignorieren oder leugnen würden. "Überforderte, verharmlosende oder schlicht unwillige Sportfunktionäre ermöglichen so sexuelle Gewalt im Sport."

Kontrollstrukturen gefordert

Die Betroffenen fordern daher nicht nur eine Aufarbeitung der Vorfälle, sondern auch die Einrichtung wirksamer Kontrollstrukturen. Dazu brauche es auch eine öffentliche Debatte, wie sie die Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg mit ihren Aussagen zum alpinen Skisport ausgelöst habe. Die Betroffenen unterstützen Werdeniggs Initiative für eine unabhängige, sportartenübergreifende Anlaufstelle für von sexualisierter Gewalt Betroffene. Sie begrüßen auch die Idee, die öffentliche Förderung von Sportverbänden und Vereinen künftig an entsprechende Präventionsmaßnahmen zu knüpfen.

ÖJV-Präsident entschuldigt sich

Am späten Montagnachmittag entschuldigte sich der Präsident des Österreichischen Judoverbandes (ÖJV), Hans Paul Kutschera, im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen "für etwaige Vorfälle und bei möglichen Opfern". Was Präventionsmaßnahmen betrifft, erhebe man "zum jetzigen Zeitpunkt nicht den Anspruch, bereits alles Mögliche getan zu haben", hieß es – durchaus selbstkritisch – in einer Presseaussendung.

"Wir sind davon überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit aller im Judo tätigen Personen die Judowerte lebt und Respekt ein zentrales Element des Miteinanders in unserer Sportart darstellt", betonte Kutschera. Es könne jedoch "nicht ausgeschlossen werden, dass es auch im Judosport in der Vergangenheit Vorfälle von Missbrauch gegeben haben könnte, die uns nicht bekannt sind". Dafür entschuldige er sich "im Namen des Österreichischen Judoverbands".

Zugleich betonte Kuterscha die Verantwortung des ÖJV, "weitere Maßnahmen zu setzen, um solchen Vorkommnissen in Zukunft keinen Raum zu lassen". Dafür benötige es "auch eine Lern- und Entwicklungsphase, um gemeinsam mit Experten die derzeit bestehende Strategie weiterzuverbessern". Der ÖJV-Präsident verwies darauf, dass in den vergangenen Jahren bereits ein Austausch mit "100 Prozent Sport" – einer Initiative gegen sexuelle Übergriffe im Sport – und Workshops stattgefunden hätten sowie ein entsprechender Themenschwerpunkt in allen Ausbildungszweigen des ÖJV implementiert wurde.

Installation von Vertrauenspersonen

Beginnend mit 2018 wird der ÖJV zusätzlich Vertrauenspersonen installieren, die sämtlichen Vereinen bekanntgemacht werden. Betreuer müssen zukünftig eine Unbedenklichkeitsbescheinigung in Form einer Strafregisterbescheinigung "Kinder- und Jugendfürsorge" vorlegen. Diese gibt darüber Auskunft, ob Verurteilungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung und damit zusammenhängende Einträge wie gerichtliche Tätigkeitsverbote im Strafregister vermerkt sind.

"Wir sind uns als Fachverband der Verantwortung bewusst und werden diesen eingeschlagenen Weg intensiv fortsetzen und auch alle von Sportministerium, BSO und weiteren öffentlichen Stellen vorgeschlagenen Maßnahmen berücksichtigen", kündigte Kutschera abschließend an. (APA, red, 4.12.2017)