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Die Pyramiden von Meroe bildeten einst das Zentrum des nubischen Reichs.

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Sie liegen rund 200 Kilometer nordöstlich von Khartum, der Hauptstadt des Sudan.

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In der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts wurde die Hauptstadt nach Meroe verlegt und eine eigene Schrift entwickelt, die nach wie vor nicht völlig entschlüsselt ist

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Der Islam wird im Alltag erstaunlich locker gehandhabt, Frauen tragen zwar knallbunte Kopftücher über ihrem Haar, ausländische Besucherinnen müssen ihr Haupt aber nicht bedecken.

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Die Hauptstadt Khartum

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Der Wächter des Totenreichs ist ein gemütlicher älterer Herr, der die Abendsonne genießt. Er öffnet ein schmales Tor, durch das wir uns durchzwängen. Es geht steil hinunter, Beleuchtung gibt es keine. Treppen, vor tausenden von Jahren per Hand in den Stein geschlagen, führen in die erste der beiden Kammern. Erst mit der Taschenlampe zeigt sich die ganze Pracht: An der Decke leuchten gelbe Sterne, und der strahlend blaue Himmel ist auch zu erkennen.

An den Wänden, gleich einem Comic, hat Pharao Tanotamun (er regierte von 664 bis 657 v. Chr.), in dessen Grab wir uns gerade befinden, Wunschvorstellungen von seiner Reise ins Jenseits festgehalten. "Die beiden Kobras auf seiner Stirn verdeutlichen, dass er über Unter- und Oberägypten regiert hat", erklärt unser Guide. "An der Wand vorn sehen wir seine Seele in Form eines Vogels."

Versunkenes Reich

Es riecht streng und ist brütend heiß. Der Schweiß läuft einem in Strömen übers Gesicht. Zurück im Freien wirken die 37 Grad, die es kurz vor Sonnenuntergang in El-Kurru noch immer hat, wie eine frische Brise. Die Königsgräber erzählen von einem versunkenen Reich, über dessen Existenz nach wie vor vieles unklar ist. Die Schwarzen Pharaonen der 25. Dynastie eroberten Ägypten und beherrschten das gesamte Gebiet am Nil. Sie trugen klingende Namen wie Tanotamun oder Taharqa.

Die Spuren der Herrscher findet man im heutigen Sudan – rund 220 Pyramiden stehen direkt am Straßenrand oder liegen versteckt in der Wüste. Das ist um einiges mehr als in Ägypten. Manche von ihnen verfallen bereits, übrig bleiben nur riesige Sandhaufen. Die meisten Grabkammern wurden im 19. Jahrhundert von Forschern und Abenteurern geplündert. Sie sind mittlerweile wieder zugeschüttet und warten darauf, für Besucher zugänglich gemacht zu werden. Die nubischen Pyramiden sind kleiner als ihre ägyptischen Geschwister und anders konstruiert: Die Grabkammer befindet sich nicht im Inneren der Pyramide, sondern wurde unter ihr in den Boden gegraben.

Lockerung im Land

Während in Ägypten die Touristen einander auf die Füße steigen, ist der heutige Sudan nach wie vor ein touristischer Nebenschauplatz. Rund 10.000 Touristen zählt das krisengeschüttelte Land jährlich, die meiste Zeit ist man allein bei den Sehenswürdigkeiten. Der islamisch geprägte Staat wird seit dem Militärputsch von 1989 von Umar al-Baschir mit strenger Hand regiert, in den 1990er-Jahren tummelten sich in der staubig-heißen Wüstenhauptstadt Khartum, die sich im Sommer auf über 50 Grad aufheizt, Terroristen wie der junge Osama bin Laden oder Carlos, der Schakal. Die USA stuften den Sudan als "Schurkenstaat" ein.

Erst kürzlich wurden die Sanktionen aufgehoben, das Land erhofft sich durch die Lockerung mehr Besucher. Aber die Probleme werden dadurch nicht geringer: 2011 spaltete sich der Südsudan als eigenständiger Staat ab – und versinkt seitdem im Bürgerkrieg. Der Norden, weiterhin nur Sudan genannt, hingegen ist als Reiseland – abgesehen von Grenzregionen wie Darfur – erstaunlich sicher. Nur die Inflation steigt gerade rasant.

Freundlich und neugierig

Der Sudan ist ein faszinierendes Reiseland, nicht nur wegen seiner historischen Verbindung zum ägyptischen Großreich. Die Menschen sind äußerst freundlich und neugierig auf Besucher. Zum Sonnenuntergang vor den Pyramiden kommen auch einheimische Familien, die Selfies machen wollen. Der Islam wird im Alltag erstaunlich locker gehandhabt, Frauen tragen zwar knallbunte Kopftücher über ihrem Haar, ausländische Besucherinnen müssen ihr Haupt aber nicht bedecken.

Auch der Umgang der Geschlechter untereinander ist zumindest auf den ersten Blick entspannt: Frauen und Männer geben einander bei der Begrüßung die Hand. Man kommt schnell mit den Leuten ins Gespräch, obwohl das Land arm ist, wird man unaufdringlich-höflich ständig zum Kaffee oder Frühstück eingeladen.

Abkürzungen durch die Wüste

Gerade am Land fühlt man sich in eine andere Zeit zurückversetzt, statt Autos sind Esel auf den Straßen unterwegs, auf den Märkten werden Schafe und Kamele verkauft. An den vielen Straßenständen wird einheimischer Kaffee angeboten, der wie türkischer gebraut wird, aber dann durch Ingwerpulver eine scharfe Note bekommt. Die Hauptverkehrsstraße ist gut in Schuss, Chinesen, die in ganz Afrika groß im Geschäft sind, haben sie ausgebaut.

Die Fahrer nehmen trotzdem lieber Abkürzungen durch die Wüste: Wir kommen an Wasserlöchern vorbei, wo Nomaden mit ihren Tieren Vorräte für die nächsten Tage anlegen. Die Nomaden zeigen gern, wie sie ihre handgemachten Messer tragen (am linken Oberarm) und zücken ihre Handys, um Fotos mit uns zu schießen. Sie werfen sich gekonnt in Pose.

Mann mit Brüsten

Weiter im Süden, in der Nähe von Khartum, liegt das zweite Zentrum des nubischen Reichs. In der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts wurde die Hauptstadt nach Meroe verlegt und eine eigene Schrift entwickelt, die nach wie vor nicht völlig entschlüsselt ist. Die Darstellungen an den Wänden der Tempel überraschen: Es sind klassisch-ägyptische Motive, aber viel realistischer in ihren Details. Man sieht Pharaonen mit afrikanischem Einschlag. Da blitzt eine weibliche Brust auf, dort zeigen Männer ihre Muskeln. Ein Löwengott ist in Stein gemeißelt, und der hermaphroditische Hapi, der Fruchtbarkeitsgott des Nils, ist zu sehen, ein Mann mit Brüsten und Schwangerschaftsbauch.

Die Pharaonin Amanischacheto, deren erlesener Goldschmuck sich in Museen in Berlin und München befindet, hält drohend ihr Schwert in die Höhe, ihre knienden Gefangenen zieht sie an den Haaren; ein Löwe frisst einen Mann. Diese Abbildungen beweisen: Wo heute eine endlose Wüste ist, muss es früher grün gewesen sein, Krokodile und Löwen haben in den üppigen Wäldern des Sudan gelebt.

Am weiß-blauen Fluss

Nach den vielen historischen Exkursionen ist es spannend, in der pulsierenden Hauptstadt zu sein, die am Zusammenfluss des Weißen und des Blauen Nils liegt. Wie viele Einwohner das ständige wachsende Khartum zählt, weiß keiner genau. Unser Guide schätzt vier Millionen. Vor allem die Außenbezirke sind riesige Shoppingareale, im alten Souk von Omdurman, der alten Hauptstadt des Sudan, die immer mehr mit Khartum zusammenwächst, findet man alte Holzdosen, in denen Weihrauch gesammelt wird, und prächtige Körbe aus Darfur.

Am späten Nachmittag gibt es im Norden von Khartum jeden Mittwoch, Freitag und Samstag Wettkämpfe im traditionellen nubischen Wrestling. Eigentlich kommt der Sport aus dem Süden des Landes, die sogenannten Nuba, die bereits Leni Riefenstahl in einem Fotoband dokumentiert hat, sind berühmt für ihre Kunstfertigkeit. Es geht darum, den Gegner auf den Boden zu werfen. In der ringförmigen Arena ziehen die Champions zuerst ihre Runden, lassen sich vom Publikum feiern, posieren siegessicher für die Kameras. Die Kämpfe dauern ein paar Minuten, meist klingt Musik aus den Lautsprechern, weshalb die Bewegungen der Kontrahenten wie Tanz aussehen.

Ehrenplatz für Besucherinnen

Oft geht es schnell: eine geschickte Hebelbewegung und der erstaunte Gegner liegt im roten Sand. Oft aber verheddern sich die Beine und Arme ineinander, wie Ameisenwesen ringen die beiden Männer um den Sieg. Bewaffnete Wächter in Uniformen ziehen ihre Kreise in der Arena, denn wenn nicht klar ist, wer gewonnen hat, kocht die Stimmung schnell hoch. Die meisten der anwesenden Zuschauer sind Männer, aber es wäre nicht der Sudan, wenn die ausländischen Besucherinnen nicht sofort einen Ehrenplatz bekommen würden. Wir sitzen direkt am Rand der Kampfarena, vor dem Tisch der Schiedsrichter.

Wenn dann bei der Heimfahrt langsam die Sonne hinter den staubigen Straßen von Khartum, auf denen die Esel säckeweise Wasser schleppen, untergeht, kommt auch der Durst zurück. Der unbändige Durst nach der Wüste mit ihren Tempeln für ein untergegangenes Reich. (Karin Cerny, RONDO, 11.12.2017)