Theresa Bienenstein versteht unter Interieurberatung nicht nur Dekoration, sondern Räumen ein Gefühl zu verleihen.

Foto: Anna Stöcher

Interieurentwürfe aus der Feder von Theresa Bienenstein: Badezimmer eines Lofts in New York City.

Foto: Paul Warchol / Gabellini Sheppard (Loft Apartment New York City)

Wohnzimmer eines Lofts in New York City.

Foto: Paul Warchol / Gabellini Sheppard (Loft Apartment New York City)

Der sogenannte Drawing Room im Hotel Edition in Istanbul.

Foto: Nikolas Koenig / Gabellini Sheppard (Hotel Edition Istanbul, Drawing Room / Lounge)

STANDARD: Warum benötigen Menschen Interieurberater?

Theresa Bienenstein: Ein Einrichtungsberater bringt eine zusätzliche Sichtweise auf mögliche Lebensraumgestaltungen. Wir können helfen, Dinge auf den Punkt zu bringen.

STANDARD: Was sehen Sie, was der Kunde nicht sieht?

Bienenstein: Viele Menschen sehen Dinge in Zeitschriften oder bei anderen Menschen und kopieren dann etwas. Sehr wenige wissen, was ihr eigener Stil sein könnte. Wir helfen, dies herauszufinden, indem wir uns mit der Person auseinandersetzen. Es ist ein Herantasten.

STANDARD: Das klingt nach einem psychologischen Vorgang.

Bienenstein: Das ist es auch.

STANDARD: Wie sehen die Reaktionen bei diesem Herantasten aus?

Bienenstein: Das reicht von Mimiken bis Aussagen. Es geht auch viel um Körpersprache. Aus all dem mache ich mir sukzessive ein Bild. Hinzu kommen Infos über das private und berufliche Umfeld, die Umgebung und räumliche Gegebenheiten.

STANDARD: Wie funktioniert gutes Wohnen?

Bienenstein: Indem man Freude in den eigenen vier Wänden findet. Jeden einzelnen Tag. Und wenn es nur das Decken seines Tisches oder das Sich-fallen-Lassen auf ein Sofa ist.

STANDARD: Sie sprechen von Wohnen als Gesamterlebnis. Auch wenn das etwas werblich klingt, wie wird Wohnen zu einem Gesamterlebnis?

Bienenstein: Wenn man einen Raum betritt, empfindet man als Erstes sein Volumen, dann seine Flächen und das Licht. Es geht um das Erleben von Stimmigkeit, um ein Gefühl, das einem sagt, "da passt alles".

STANDARD: Das wird aber alles sehr unterschiedlich empfunden, oder?

Bienenstein: Absolut. Nehmen wir das Licht her. Es gibt Menschen, die mögen es sehr hell, andere ziehen eine gedämpfte Atmosphäre vor.

STANDARD: Wie interpretieren Sie den Typ, der auf starkes Licht steht?

Bienenstein: Vielleicht ist das jemand, der das Intime, Bauchige weniger gerne zulässt, der lieber alles im klaren Licht sieht. Und das ist nur ein Punkt, den es gilt, über seinen Kunden zu lernen. Wie ich schon erwähnte, Innenarchitektur kann dazu beitragen, ein individuelleres, angepasstes Lebensumfeld zu kreieren. Und dabei geht es nicht bloß um Dekoration.

STANDARD: Welche Art von Kundschaft ist Ihnen am liebsten?

Bienenstein: Ein Kosmopolit, weltoffen und neugierig. Jemand, der bereit ist, Zeit und Geld zu investieren, um im Rahmen der Möglichkeiten gemeinsam das für ihn Beste umzusetzen.

STANDARD: Welche Klientel ist die mühsamste?

Bienenstein: Ich finde es schwierig, wenn jemand borniert ist, zumacht und nicht bereit ist, sich eine neue Idee erklären zu lassen.

STANDARD: Wenn man sich Ihre Projekte ansieht, könnte man glauben, dass Ihre Klientel lediglich bei den oberen Zehntausend zu finden ist. Ist dem so?

Bienenstein: Nein, nicht unbedingt. Natürlich, wenn genügend Budget vorhanden ist, kann man sich auch mehr "austoben". Aber ich versuche auch bei engeren finanziellen Budgetrahmen durch Setzen von Prioritäten ein stimmiges, reichhaltiges Konzept zu schaffen.

STANDARD: Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Bienenstein: Wir arbeiten gerade an einem Projekt in Paris. Es geht um eine komplette Renovierung einer zweistöckigen Wohnung auf 140 Quadratmetern. Das Budget liegt bei 180.000 Euro inklusive Möbel.

STANDARD: Und was stellen Sie mit dem Geld an?

Bienenstein: Ich konnte den Kunden davon überzeugen, dass die Verbindung der zwei Ebenen, sprich die Treppe, ein sehr wesentliches architektonisches Element ist. Diese neu zu gestalten hat einiges vom Budget aufgebraucht. Daher mussten wir bei anderen Dingen wie zum Beispiel bei gewissen Details und dem Mobiliar sparen. Möbel kann man in der Zukunft neu auswählen bzw. ergänzen, wenn wieder Budget vorhanden ist.

STANDARD: Aber bei Interieurberatung denken die meisten Menschen doch an Möbel, Farben und Stoffe.

Bienenstein: Und genau das erachte ich als einen Fehler. Es sollte um viel mehr gehen, eben um Innenarchitektur. Das Sofa suche ich erst ganz zum Schluss aus.

STANDARD: Wie entwickelt sich die Branche der Interieurberatung? Österreich hinkt gegenüber anderen Ländern ziemlich hinterher.

Bienenstein: Ich glaube, die Bedeutung unserer Branche nimmt langsam zu. Ich habe jedoch festgestellt, dass sich hierzulande immer mehr Menschen Innenarchitekten nennen, denen es an Ausbildung und Erfahrung mangelt. Nur weil man ein Sofa und einen passenden Vorhang aussuchen kann, ist man noch kein Innenarchitekt.

STANDARD: Sie selbst haben bei Paolo Piva an der Wiener Angewandten Industriedesign studiert. Wie kamen Sie vom Entwurf eines einzelnen Produkts zu dem ganzer Räume?

Bienenstein: Paolo Piva war ja selber Architekt und Designer. Er hat mich in meinem Streben, den Fokus auf Innenarchitektur zu legen, sehr unterstützt. Schon bei der Aufnahmeprüfung habe ich ein Innenraumkonzept entwickelt, während alle anderen ein Objekt entworfen haben. Auch die Semesterthemen habe ich dann in diese Richtung interpretiert und ausgearbeitet. Meine Liebe zu Details stammt sicher auch aus dieser Zeit, in der ich sehr viel über Materialien und Handwerk lernen konnte. Und noch etwas: Schon als Kind war mir der Einrichtung meines Puppenhauses wichtiger als die Puppe.

STANDARD: Sie haben schon in New York, Paris, Istanbul etc. gearbeitet. Wodurch unterscheidet sich das Wohnen der Menschen in der weiten Welt von jenem von Frau und Herrn Österreicher?

Bienenstein: Die Österreicher leben konservativer, das mag vor allem in den Städten an der weitverbreiteten Altbaustruktur liegen, aber das ist ja nichts Negatives. Meinem Empfinden nach dekoriert die "Dame des Hauses". Das ist im Angelsächsischen ganz anders. Dort wird vermehrt auf professionelle Beratung zurückgegriffen. Ich würde mir wünschen, dass auch in Österreich einmal ein Trend in Sachen Einrichtung kreiert wird und nicht nur bestehende aus dem Ausland mit Verzögerung aufgegriffen werden.

STANDARD: Zum Beispiel "The New Biedermeier", auf das die ganze Welt abfährt ...

Bienenstein: Genau so etwas. Warum nicht?

STANDARD: Sie sprachen von der "Dame des Hauses". Wohnen Männer anders als Frauen?

Bienenstein: Ich glaube, Frauen haben mehr Sinn für Funktionalität im Alltag, zum Beispiel stellen sie sich die Frage: "Wie lässt sich etwas reinigen und pflegen?"

STANDARD: Da bin ich jetzt schon gespannt auf die Postings unter diesem Interview, wenn es online gehen wird.

Bienenstein: Das ist meine Erfahrung, so klischeebehaftet das auch klingen mag. Männer machen sich in dieser Angelegenheit weniger Gedanken. Männern geht es mehr um den visuellen Eindruck. Frauen ist ein praktischer Wohlfühlcharakter oft wichtiger.

STANDARD: Sie gestalten auch Shops oder Hotels wie das Hotel Edition in Istanbul oder das Hotel Row in New York. Was ist der größte Unterschied zwischen solchen Projekten und Wohnberatung?

Bienenstein: Bei der Planung eines Hotels geht es, je nach Vorgabe, auch darum, dem Reisenden einen Bezug zu seinem Aufenthaltsort zu vermitteln. Ich möchte, dass der Ankommende beim Aufwachen im Hotelzimmer weiß, wo er sich befindet.

STANDARD: Rolf Fehlbaum von Vitra sagte in einem Gespräch, er könne auf der Stelle die Namen von 20 bekannten Designern oder Architekten nennen, aber kaum jemand kenne einen namhaften Interieurdesigner. Was ist der Grund dafür?

Bienenstein: In Paris zum Beispiel gibt's mittlerweile schon einige Stars. Im deutschsprachigen Raum ist das anders, allein deshalb, weil das Berufsbild nicht wirklich definiert ist.

STANDARD: Wird sich das mit der nächsten Generation ändern?

Bienenstein: Mit der nächsten vielleicht noch nicht. Es hängt sehr von den Ausbildungsmöglichkeiten ab. Die müssen einfach besser werden, damit auch internationale Studenten und Lehrende zu uns kommen und die Unsrigen nicht davon laufen. Es fehlt einfach die Basis.

STANDARD: Also sollte Innenarchitektur zum Beispiel auch als Klasse an der Wiener Angewandte gelehrt werden.

Bienenstein: Auf jeden Fall.

STANDARD: Mit Ihnen als Professorin?

Bienenstein: Schauen wir einmal. (Michael Hausenblas, RONDO Open Haus, 11.12.2017)