Die Geschäftspraktiken von Videospielherstellern sind international ins Visier der Konsumentenschützer und Behörden geraten. Grund dafür ist die zunehmende Integration von umstrittenen Monetarisierungsmechaniken in populäre Blockbuster-Produktionen wie "Fifa 18", "Assassin's Creed Origins", "Destiny 2", "Overwatch" oder jüngst "Need for Speed: Payback" sowie "Star Wars: Battlefront 2".

Doch während für Kritiker klar ist, dass Herausgeber wie EA, Activison und Ubisoft damit ohne Lizenz und ungekennzeichnet Kasinomodelle anwenden, um Kunden hunderte Millionen Euro zu entlocken, ist die Rechtslage laut Behörden nicht so eindeutig, was eine Änderung dieser Praktiken zumindest in nächster Zeit schwierig macht. Dabei sind diese Bezahlmechaniken tatsächlich bereits seit Jahren im Einsatz. Mit der Nutzung in populären Hochglanzwerken sind die potenziellen Gefahren nun offenbar doch ins Visier der Gesetzgeber gerückt.

"Spielpädagogisch bedenklich"

Streitpunkt sind sogenannte Lootboxen, die man in Games mit Spielgeld oder auch Echtgeld erwerben kann und die zufällig ausgewählte virtuelle Inhalte wie Rüstungen für Spielcharaktere enthalten können. Laut Konsumentenschützerin Daniela Zimmer von der Arbeiterkammer Wien ergeben sich hier zwei Probleme: Zum einen sei es prinzipiell "spielpädagogisch bedenklich", heißt es gegenüber dem STANDARD, wenn sich Spieler Vorteile erkaufen können. Denn während sich Hersteller zunächst auf kosmetische Gegenstände beschränkten, werden nun immer häufiger spielbestimmende Waffen oder Hilfen über Lootboxen ausgegeben. Ein Modell, das in der Branche als "Pay2Win" verschrien ist, Hersteller nach außen hin aber damit rechtfertigen, dass es so auch jenen Kunden, die wenig Zeit in ihr Hobby stecken können, erlaubt wird, schlagkräftig in Multiplayer-Games mitzumischen.

"Aggressive Werbeform"

Schwerer wiegt allerdings der Vorwurf, wonach Hersteller mit Lootboxen laut Zimmer eine "aggressive Werbeform" anwenden, die sich an ein zu großen Teilen jugendliches Publikum richtet. Die Geschäftsberichte der Konzerne zeigen, wie lukrativ das Geschäft ist. Ubisoft beispielsweise nahm im vergangenen Quartal erstmals mehr über derartige Zusatzinhalte und Lootboxen ein als über den Verkauf von Download-Games selbst. Ein Grund dafür: Während von den Spielverkäufen nach Steuern und Lizenzkosten nur etwa 20 Prozent des Kaufpreises tatsächlich beim Hersteller landen, bleiben von jedem Euro für In-Game-Inhalte rund 90 Cent übrig. Insofern ist das wirtschaftliche Interesse, Spieler mit vielversprechenden Schatzkisten zum Einzahlen zu verleiten, riesig.

Dass Lootboxen so bei allen eingesetzten psychologischen Tricks regelrecht zur Sucht werden können, schilderte jüngst ein 19-jähriger US-Amerikaner mit dem Usernamen Kengold in einem Brief an Konsumenten und Hersteller. In den vergangenen drei Jahren habe er auf diese Weise 13.500 Dollar für virtuelle Inhalte ausgegeben. Aus Sicht von Eltern ein besorgniserregender Fall, für Herausgeber aber ein lohnendes Geschäft. Intern nennen sie Kunden wie Kengold "Wale", die weniger als ein Prozent der Spielerschaft ausmachen, aber für einen Großteil der Einnahmen sorgen.

Video: Ex-Ubisoft-Marketingmanager Eugen Knippel über die Sichtweise der Spielhersteller.
WIRSPIELEN

15.000 Dollar für Card-Packs

Das hat auch Auswirkungen auf die Spielentwicklung selbst, wie der ehemalige Bioware-Montreal-Entwickler Manveer Heir Ende Oktober in einem Interview erläuterte. Herausgeber wie EA würden zunehmend dazu übergehen, Games so zu designen, dass diese Spielern mehr Anreize geben, immer wieder zurückzukehren und mehr Zeit und Geld zu investieren. "Ihr müsst verstehen, um wie viel Geld es bei Mikrotransaktionen geht. Ich darf keine Zahlen nennen, aber ich kann sagen, als der 'Mass Effect 3'-Multiplayer herauskam, war die Menge an Geld, die wir mit dem Verkauf von Card-Packs (eine Lootbox-Variante, Anm.) einspielten, so signifikant, dass 'Dragon Age' auch einen Multiplayer bekommen musste. Das ist der Grund, weshalb andere EA-Spiele einen Multiplayer erhielten, die davor keinen hatten, da wir den Nagel auf den Kopf getroffen hatten und sie eine Tonne Geld einbrachten. Ich habe gesehen, wie Leute 15.000 Dollar für 'Mass Effect'-Multiplayer-Cards ausgaben", sagte Heir.

Wie gebannt Spieler wiederum von dieser zufallsbedingten Ausspielung von Belohnungen sind, sieht man als Außenstehender daran, wie viele Videos sich allein zum Öffnen von Lootboxen auf Youtube finden. Youtuber erreichen heute unter anderem ein Millionenpublikum damit, dass sie ihre Zuseher daran teilhaben lassen, wie sie aus virtuellen Kartenpaketen neue Fußballspieler für ihre virtuelle "Fifa"-Mannschaft ziehen. Das Gleiche gilt für fast alle populären Games, die solche Mechaniken beinhalten: Die Ungewissheit, der Nervenkitzel, die rasche Befriedigung des Glücksspiels, ob mit Spielgeld oder Echtgeld (wenn man seinem Glück etwas auf die Sprünge helfen will), stecken an. Und das offenbar umso mehr, wenn es dabei um ein Hobby geht, das man selbst mit Leidenschaft betreibt.

Es ist Glücksspiel! Nicht so schnell ...

Berichte wie diese veranlassten Behörden in EU-Ländern wie den Niederlanden und Belgien sowie in einigen US-Bundesstaaten dazu, Ermittlungen einzuleiten, um die Glücksspielvorwürfe zu prüfen. Doch während die Ergebnisse dazu noch auf sich warten lassen, erklärt Johannes Pasquali, Sprecher des österreichischen Finanzministeriums, wie komplex die Sachlage ist.

"Bei solchen Games stellt sich primär die rechtliche Frage, ob diese in die Glücksspieldefinition fallen, ob also der Anteil an den zufallsbedingten Elementen so maßgeblich ist, dass vorherrschende Geschicklichkeitselemente in den Hintergrund treten. Das ist nur durch ein Sachverständigengutachten feststellbar und wohl für jedes Spiel erforderlich", sagt Pasquali zum STANDARD. Ihm zufolge liegt bislang kein "begründeter Verdacht zu vorherrschenden Glücksspieleigenschaften solcher Spiele" vor. Zudem müssten diese Spiele, um die Glücksspieldefinition zu erfüllen, Spielern einen vermögenswerten Gewinn (zum Beispiel Geld) in Aussicht stellen.

Schattenwirtschaft

Bei den aktuell debattierten Games ist das bisher tatsächlich nur über Umwege möglich. So bieten manche Wettplattformen bereits an, Spielinhalte wie Waffenverzierungen als Währung einzusetzen, und über den Secondhandmarkt werden je nach Seltenheit der Inhalte von Centbeträgen bis zu mehrere hundert Euro für virtuelle Kostüme und Spieleraccounts geboten. Schätzungen zufolge werden so jedes Jahr Milliarden umgesetzt.

Belgiens Justizminister sieht Lootboxen nicht nur deshalb kritisch: "Die Vermischung von Geld und Sucht ist Glücksspiel", meinte Koen Geens in einer Erklärung Ende November und pochte auf ein EU-weites Verbot. Eine Ansicht, die tausende Kilometer entfernt auch Chris Lee, Repräsentant des US-Bundesstaats Hawaii, teilt. "Das ist etwas, was wir angehen müssen, um sicherzustellen, dass speziell Kinder, die nicht volljährig sind, die psychologisch und emotional nicht reif genug sind, um Glücksspiele zu spielen, davor geschützt werden, in diese Fallen zu geraten, die viele Menschen dazu gebracht haben, tausende Dollar für Gaming online auszugeben."

Zumindest eine klare Kennzeichnung nötig

Wie lange es dauern wird, bis Gesetzgeber auf diese neuen Geschäftsmodelle und potenziellen Gefahren effektiv reagieren, bleibt abzuwarten. Doch selbst wenn es nicht zu weitreichenden Verboten kommen sollte, plädiert Konsumentenschützerin Zimmer zumindest für eine "klare Kennzeichnung" von Spielen mit Glücksspielmechaniken. Damit würde man auch den bisherigen Modellen zur Einstufung von Inhalten und Vergabe von Altersempfehlungen über Systeme wie PEGI und USK folgen, damit Konsumenten und Eltern wie bei anderen für die Einstufungen entscheidenden Faktoren (zum Beispiel Gewalt und Erotik) bereits vor dem Kauf wissen, mit welchen Inhalten sie es zu tun bekommen, und nicht von ungeahnten Problemen und Kosten überrumpelt werden. (Zsolt Wilhelm, 6.12.2017)

Video: Vielleicht ein Zufall, aber die sieben unserer Meinung nach besten Games des Jahres kommen allesamt ohne Bezahl-Lootboxen aus.
WIRSPIELEN