Karl-Heinz Grasser steht diesmal nicht freiwillig im Mittelpunkt.

Foto: Oliver Schopf

Ob Viagra oder Teflon, Penicillin oder Tesa und viele andere Entdeckungen. Dass es sie gibt, hat einen Grund: den Zufall. Das Potenzmittel etwa entstand, weil Forscher ein Mittel gegen Bluthochdruck suchten. Penicillin, weil Alexander Fleming auf eine Bakterienkultur vergessen hatte, der in seiner Abwesenheit Pilzsporen den Garaus machten. Und ganz zufällig wird auch einer der größten Kriminalfälle in der österreichischen Nachkriegsgeschichte an die Oberfläche gespült.

Es ist Februar 2009, als die Ermittler den Ursachen des Absturzes der Constantia Privatbank nachgehen, des ersten österreichischen Opfers der Finanzkrise. Bei der Erforschung diverser Geldflüsse stoßen sie auf interessante Überweisungen nach Zypern. 9,6 Millionen Euro sind bei einer Gesellschaft des Lobbyisten Peter Hochegger gelandet. Nachfragen beim heute angeklagten Bankvorstand ergeben: Es handelt sich um Provisionen rund um die Privatisierung der Buwog.

DER STANDARD

Die Buwog, das sind rund 62.000 bundeseigene Wohnungen, deren Veräußerung die schwarz-blaue Regierung Anfang der 2000er-Jahre beschließt. Der Zuschlag geht um 961 Millionen Euro an das sogenannte Österreich-Konsortium, dem Immofinanz, Raiffeisen Landesbank Oberösterreich und Wiener Städtische angehören. Die Immofinanz wiederum zählt zur Constantia-Gruppe.

Die zufällige Entdeckung der Hochegger-Provision lässt die Ermittler tiefer und tiefer graben. Die Spuren führen rasch auf Konten in Liechtenstein, die in Verbindung mit dem Werber Walter Meischberger und dem Immobilienmakler Ernst Karl Plech gebracht werden. Beide haben einen gemeinsamen Freund: Karl-Heinz Grasser. Der ist als Finanzminister für den Verkauf der Buwog verantwortlich.

Die Angeklagten Ernst Plech, Peter Hochegger, Walter Meischberger und Karl-Heinz Grasser (von links nach rechts), dessen Anwalt Manfred Ainedter im Hintergrund.
Foto: Oliver Schopf

Kaum werden diese Eckpunkte 2009 öffentlich bekannt, rollt eine mediale Lawine los, mit einer einzigen Frage: Hat sich eine Freundesgruppe mit dem einstigen politischen Shootingstar "KHG" im Zentrum per Buwog-Privatisierung bereichert? Acht Jahre, rund 700 Einvernahmen und 660 Hausdurchsuchungen, Sicherstellungen, Telefonüberwachungen und Kontoöffnungen sowie einen Korruptionsuntersuchungsausschuss später müssen sich 15 Angeklagte vor dem Richter verantworten. Der Riesenprozess mit 166 Zeugen soll am kommenden Dienstag starten, wenn nicht noch tags zuvor die Richterin wegen Unzuständigkeit abberufen wird.

Der Vorwurf der 825 Seiten langen Anklage im Kern: Eine Seilschaft rund um Grasser soll sich generalstabsmäßig die Taschen auf Kosten der Steuerzahler gefüllt haben. Staatsanwalt Gerald Denk bemüht in seinem Schriftsatz große Worte: Einen "Tatplan für parteiliche Entscheidungen" bei anstehenden Privatisierungen habe das Netzwerk entworfen.

Das System: Vermögen der Republik ist nur gegen Bestechungsgeld zu haben. Die Methode: Grassers Trauzeuge Meischberger, Verbindungsglied Hochegger und Immobilienprofi Plech stellen Kontakte zu "zahlungswilligen Interessenten" her, geben Informationen weiter und kümmern sich um die "Abwicklung der Geldflüsse". Der Finanzminister hebt oder senkt den Daumen. So zumindest sieht es der Staatsanwalt, der sich dabei nicht zuletzt auf zwei Zeugen beruft, die Grasser schon früh belasten.

Ein früherer Kabinettschef im blau-geführten Verkehrsministerium schildert den Ermittlern die Inhalte eines "Kamingesprächs" im Wiener Hotel Bristol. Da habe Lobbyist Hochegger erklärt, wie freiheitliche Politiker bei anstehenden Transaktionen absahnen wollen. Der Zeuge wird von den Angeklagten als Wichtigtuer abgetan, doch die Staatsanwaltschaft baut ihre Theorie des Tatplans auf seinen Aussagen auf. Dazu trägt ein Wegbegleiter Grassers bei, der die Buwog-Privatisierung in einem "Profil"-Interview als "abgekartetes Spiel" tituliert.

Um die Zuständigkeit von Richterin Marion Hohenegger gibt es bis zuletzt ein kräftiges Tauziehen.
Foto: Oliver Schopf

Ein gefundenes Fressen für Staatsanwalt Denk, der übrigens auch zufällig zum Zug kommt. Sein Vorgänger gibt nach kurzer Zeit auf und den Akt ab. Die von Denk angeführte Ermittlertruppe soll in den kommenden Monaten und Jahren ebenso bemerkenswerte wie belastende Konstellationen, Destinationen und Transaktionen aufspüren.

Alles purer Zufall – sagen die Betroffenen, die kein gutes Haar an den Ermittlungsergebnissen und deren Bewertung lassen. Einer, der in der Causa Buwog seither die größten Geschütze gegen die Justiz auffährt, ist Manfred Ainedter. Der Grasser-Verteidiger sitzt in seiner frisch umgebauten Kanzlei, in der es neben neuem Interieur auch eine gerade installierte Verrauschungsanlage gegen Abhörversuche gibt. Auch im Gespräch mit dem STANDARD nimmt sich Ainedter kein Blatt vor den Mund.

DER STANDARD

STANDARD: Wie verteidigen Sie Grasser gegen den Vorwurf des Tatplans?

Ainedter: Es gab nie und nimmer einen Tatplan, außer dem Zeugen Willi B., dem damaligen Kabinettchef des Verkehrsministers, behauptet das auch niemand. Neun Jahre hat B. geschwiegen, erst 2009 ist ihm das eingefallen. Hochegger sagt, diese Behauptung sei eine Frechheit. In der Anklage werden Ermittlungsergebnisse völlig einseitig und Aussagen aktenwidrig wiedergegeben.

STANDARD: Was tun Sie dagegen?

Ainedter: Wir werden die Mutmaßungen, Unterstellungen, Fantasiegebilde aus der Anklage widerlegen. Auch mithilfe einiger Zeugen; ich verstehe ja zum Beispiel nicht, warum die Staatsanwaltschaft etwa Wolfgang Brandstetter nicht als Zeugen beantragt hat. Er war ja bei den Besprechungen dabei, nachdem die Provisionen bekanntgeworden waren.

Wolfgang Brandstetter. Dass er in der Geschichte eine Doppelrolle spielt, ist schon wieder ein Zufall. Der gefragte Strafverteidiger vertritt vorübergehend Karl Petrikovics anwaltlich. Der Immofinanz-Chef steht – neben dem Grasser-Freundeskreis – im Zentrum der Buwog-Affäre und sorgt dafür, dass Hochegger nach dem Zuschlag bei der Privatisierung zu Geld kommt.

Wie der Justizminister in der Affäre auftaucht

Doch nicht nur der in der ursprünglichen Causa Constantia Privatbank rechtskräftig zu sechs Jahren Haft verurteilte Petrikovics sucht Rat bei Brandstetter. Seine Expertise wird auch in Anspruch genommen; als die Bombe 2009 platzt. Er nimmt laut Akt an jener geheimnisumwitterten Sitzung teil, in der die aufgeschreckte Freundesrunde des Karl-Heinz Grasser herumtüftelt, wie man die Vorfälle "anders darstellen beziehungsweise gar rechtfertigen könnte".

Staatsanwalt Gerald Denk hat viele Spuren verfolgt.
Foto: Oliver Schopf

Heute ist Brandstetter Vizekanzler und Justizminister. Er wird nie verdächtigt und muss auch nicht auf der Zeugenbank Platz nehmen. In Befragungen durch den Staatsanwalt schweigt er. Sein "berufsspezifisches Entschlagungsrecht" lässt die Einvernahme am 24. September 2010 nach fünf Minuten auch schon wieder zu Ende gehen.

Von der Buwog gibt es noch eine indirekte Verbindung zu Wolfgang Brandstetter – oder umgekehrt. Die von ihm eingebrachte Strafrechtsreform sorgt dafür, dass die Strafen im Falle einer Verurteilung niedriger ausfallen könnten als bei der früheren Regelung. Auch ein "Vergleich" (Diversion) wird durch die Änderungen erleichtert.

Schon wieder ein Zufall

"Anders darstellen" wollen die Akteure insbesondere die Umstände des hauchdünnen Sieges des Österreich-Konsortiums bei der Buwog-Privatisierung. Auf ein reguläres Verfahren samt Vergabekommission verzichtet der Finanzminister beim Verkauf der Bundeswohnungen nicht. Allerdings kommt es dabei zu einigen Ungereimtheiten – oder eben Zufällen. In der ersten Runde sieht es noch ziemlich düster für Immofinanz, Raiffeisen OÖ und Wiener Städtische aus, weil die CA Immo mehr bietet.

Zweite Bieterrunde

Doch siehe da: Grasser läutet unerwartet eine zweite Runde ein. Bei den neuerlichen Geboten liegt, Überraschung, das Österreich-Konsortium über dem neuen Offert des Kontrahenten. Mit 961 Millionen Euro bieten die Partner um ein ganzes Promille mehr als die CA Immo. Die These des Staatsanwalts: Grasser steckt den Preis dem Kontrahenten Meischberger, der gibt die Information an Hochegger weiter, über den sie beim Österreich-Konsortium landet. Gegenwert des Tipps: die eingangs erwähnte Provision von 9,6 Millionen.

Das maximale Gebot der CA Immo sei "allgemein bekannt gewesen".

Doch diese Version wird nicht nur von den Angeklagten bestritten, sondern auch von mehreren Zeugen. So meint etwa Petrikovics-Nachfolger als Immofinanz-Chef, Eduard Zehetner, das maximale Gebot der CA Immo sei "allgemein bekannt gewesen".

Brisanter Zeuge Traumüller

Einer, der rund um die Privatisierung für Schlagzeilen sorgt, ist der Beamte Heinrich Traumüller, der auch in der Buwog-Vergabekommission sitzt. Im Korruptionsuntersuchungsausschuss im Parlament lässt er 2012 mit der Aussage aufhorchen, dass Grasser deutlich mehr Insiderwissen habe, als er zugibt. Am gleichen Abend wird Traumüller als abgängig gemeldet, später von der Polizei in verwirrtem Zustand gefunden. Heute spielt Traumüller, der auch als Zeuge geladen ist, die Sache herunter.

"Eine Sternstunde der österreichischen Wirtschaft" bewertet Heinrich Traumüller die Privatisierung der Buwog.
DER STANDARD

STANDARD: Ihnen ging es nach Ihrer Aussage vor dem U-Ausschuss sehr schlecht ...

Traumüller: Nicht so schlecht, wie die Medien berichteten. Ich war in acht U-Ausschüssen, wurde in jedem angezeigt und auch medial nicht gut behandelt. Ich kann meine Verfahren gar nicht zählen, aber ich akzeptiere die Regeln des Rechtsstaats; und am Ende ist es für mich sehr gut ausgegangen. Warum soll es für andere nicht gut ausgehen?

STANDARD: Sehen Sie sich als Be- oder Entlastungszeugen?

Traumüller: Ich sehe mich als neutralen Zeugen. Ich berichte über Fakten und über sonst gar nichts.

STANDARD: Die damaligen Protagonisten sind nicht so gelassen, sie sitzen bald vor dem Richter.

Traumüller: Politik in Österreich ist sehr kurzfristig orientiert. Es geht um die Schlagzeilen für den nächsten Tag, in der Regel reicht der Horizont bis zur nächsten Wahl. Aber Wolfgang Schüssel hat die Nerven bewahrt, er hat unter dem Druck der Straße und der Medien das Richtige getan. Ich bewundere das heute noch. Die verstaatliche Industrie war krank, der Patient bekam eine bittere Pille und daraus, dass man unter dem Druck der Straße nicht eingeknickt ist, wurde die Sternstunde der Politik, der österreichischen Wirtschaft und der Demokratie.

STANDARD: Und die Buwog-Privatisierung zur persönlichen Katastrophe für Grasser und Co.

Traumüller: Auch im Fall Buwog stellte sich die Frage, ob der Staat 60 Jahre nach dem Krieg noch Eigentümer von 60.0000 Wohnungen sein muss – und das muss der Staat nicht. Die Entscheidung, die Buwog zu privatisieren, war richtig, ich würde das heute wieder so entscheiden. Dabei stand die Buwog zunächst gar nicht auf dem Programm, diese Idee entstand dann erst im Kabinett, als man sah, dass die Privatisierungen gut laufen.

Der Lohn der Immofinanz

Im Unterschied zu Traumüller sehen viele Kritiker in der Buwog-Privatisierung ein schlechtes Geschäft für die Republik und einen goldenen Schnitt für die Käufer. Letzteren Standpunkt bestätigt auch Immofinanz-Chef Petrikovics in einem "Profil"-Interview Ende 2011: "Wir reden von einem Vermögenseffekt für die Immofinanz von 1,25 Milliarden Euro."

Plech, Meischberger, Grasser und Hochegger haben ihr eigenes Erklärungsmuster für die geringe Preisdifferenz von einer Million Euro im Bieterverfahren: Da habe sich wohl ein Mitarbeiter "beim Bier verredet", zitiert die Anklage aus der in der Unterredung ausgetüftelten Darstellung.

Sie stützt sich dabei auf ein Protokoll des Anwalts Gerald Toifl, der von Meischberger nach Auffliegen der Affäre Hals über Kopf angeheuert wird. Hier wird einmal nichts dem Zufall überlassen: Der an der Universität Salzburg lehrende Jurist Toifl wird nur informiert, er möge sich nach Wien begeben, wo er am Westbahnhof abgeholt werde. Von wem, weiß der Anwalt nicht, nur so viel: Er werde das Gesicht kennen.

Die Spur zu Grasser

Toifl erkennt Meischberger und verfasst in weiterer Folge für seinen neuen Mandanten eine Selbstanzeige bei der Finanz. Dieser Vorgang hängt mit der Buwog-Provision zusammen. Die kassiert zwar ursprünglich Hochegger über seinen zypriotischen Briefkasten Astropolis, doch wandern drei Viertel des Geldes weiter: an Meischberger, der diese Einnahmen ebenso wenig versteuert wie Hochegger.

Womit die Causa Buwog möglicherweise in eine entscheidende Phase tritt. Hat die Privatisierung der Bundeswohnungen wegen des knappen Ausgangs und der personellen Verflechtungen rund um alte Freunde noch einen schalen Beigeschmack, so beginnt es bei den Geldflüssen richtig übel zu riechen.

Familienmitglieder Grassers müssen zwar nicht vor Gericht erscheinen, wurden aber schon ordentlich vor den Vorhang gezerrt.
Foto: Oliver Schopf

Grasser, seine Freunde und zusehends Familienmitglieder geraten immer tiefer in den Buwog-Strudel. Größte Sogkraft entfaltet dabei die Art, wie und wo Meischberger seinen Anteil an den Provisionen in Höhe von 7,7 Millionen bunkert. Sie wandern von Zypern über das US-Steuerparadies Delaware nach Liechtenstein auf drei Konten. Die haben längst Berühmtheit erlangt: "Natalie", "Karin" und "400.815".

Natalie und Karina

Zufall oder nicht? Der Name von Meischbergers Lebensgefährtin ist Natalie; jener von Plechs Frau Karina. Weshalb sich für die Justiz bald der Verdacht erhärtet, dass sich der Immobilienmakler hinter dem entsprechenden Konto verbirgt. Und wer steckt hinter der Zahl 400.815? Die Anklage sagt: Grasser.

Hier beginnt eine ebenso lange wie vielsagende Indizienkette, die wohl die schwerste Belastungsprobe für die Angeklagten darstellen dürfte. Hier beginnt auch jene Geschichte, die viel über Status, Selbstverständnis und Lebensstil der mutmaßlichen Buwog-Profiteure aussagt. Sie handelt von jeder Menge Barabhebungen und Koffertransporten, vom Erwerb von Yachten, Häusern und Ferienwohnungen.

Das rege Aus- und Einzahlen hoher Summen lässt Grasser immer verdächtiger erscheinen. Denn die Justiz kann in jahrelanger Kleinarbeit nachweisen, dass Barabhebungen vom Liechtensteiner Konto in zeitlicher und betraglicher Nähe zu Einzahlungen auf privaten Konten des immer noch amtierenden Finanzministers in Wien stehen.

Geldtransport nach Wien

Und wie transferiert man zigtausende Euro von Vaduz in die österreichische Hauptstadt? Dazu sagen die beiden Lobbyisten Meischberger und Hochegger aus: Ein Bankmitarbeiter übergibt das Geld im Fürstentum an einen Werttransport und macht sich umgehend selbst auf die Reise nach Wien. Dort nimmt er das Bare wieder entgegen und händigt es im Hotel am Stephansplatz Meischberger aus, der es laut Staatsanwaltschaft Grasser überbringt.

Bareinzahlungen auf Grassers Konten könnten "von seinen Eltern oder seiner Ehegattin kommen".

Von der Sonderkommission dazu befragt, verfängt sich KHG in Widersprüchen und gibt letztlich an, dass die Bareinzahlungen auf seine österreichischen Konten "von seinen Eltern oder seiner Ehegattin kommen könnten". Die Staatsanwaltschaft glaubt ihm nicht und hält fest, dass Grasser der wirtschaftlich Berechtigte des Kontos 400.815 sei. Von den drei Meischberger-Konten wäre somit nur eines dem Lobbyisten zuzuordnen ("Natalie"), während "Karin" Plechs und 400.815 eben Grassers "Erfolgsbeteiligung" sei.

Veranlagungsgeschick am Prüfstand

Die Liechtenstein-Verwicklung des Finanzministers beschäftigt die Medien und erregt die Republik. Doch noch mehr Aufmerksamkeit erhält Grasser mit Geldtransporten, die nicht einmal in den Augen der Ermittler direkt mit der Buwog zu tun haben. Es geht dabei um das berühmt-berüchtigte Schwiegermutter-Geld. 500.000 Euro drückt ihm Marina Giori-Lhota – so die Darstellung Grassers – in die Hand, um sein "Veranlagungsgeschick" auf die Probe zu stellen.

Diese Probe gelingt: Aus 500.000 Euro werden in kurzer Zeit 784.000 Euro, die der amtierende Finanzminister 2006 ausgerechnet im Rahmen eines Investments in die später umfallende Hypo Alpe Adria verdient. Transportiert wird die Schwiegermutter-Kohle im Koffer von der Schweiz in die Meinl Bank nach Wien. Der Ressortchef als Geldbote in eigener Sache, sozusagen.

Eine Spritzfahrt durch Buwog und Terminal Tower.
Foto: Oliver Schopf

Der Haken an der Geschichte: Die Staatsanwaltschaft glaubt sie nicht. Die Ermittler verfolgen nicht nur die Spur des Geldes, sondern heften sich auch an die Fersen des Ministers. Sie erstellen anhand von Flugdaten und Kreditkartenzahlungen ein Bewegungsprofil, das die Aufenthaltsorte Grassers dokumentieren soll. Das Ergebnis: Grasser befindet sich zum Zeitpunkt der Geldübergaben durch die Schwiegermutter nicht – wie vorgegeben – im Schweizer Kanton Zug. Doch der Minister bleibt bei seiner Aussage und meint: "Was Sie an Flugbewegungen recherchieren, interessiert mich nicht."

Hypo-Investment mit Belize-Verbindung

Das lukrative Hypo-Investment landet auf einem Konto des im sonnigen Belize ansässigen Vehikels Mandarin Group. Und genau dieser mittelamerikanische Briefkasten wird auch mit Geld aus dem inkriminierten Konto 400.815 gespeist. Wenn Grasser sein Vermögen über Mandarin verwaltet, dann gehört das Zubringerkonto nicht Meischberger, sondern dem Minister. So sehen das die Ermittler. Nicht einmal die Schwiegermutter bestätigt Grassers Darstellung.

Ansonsten verweigert sie die Aussage und wird ebenso wenig wie ihre Tochter Fiona Grasser als Zeugin geführt. Somit wird im Verfahren eine amüsante Geschichte nicht aus erster Hand erzählt werden: Ein Teil der Mandarin-Gelder fließt laut Ermittlern an einen Briefkasten von Fiona Grasser. Auf ihrer Einkaufsliste stehen unter anderem Ohrringe im Wert von 25.000 Euro, deren Bezahlung vom Offshore-Vehikel erwogen wird.

Der Ausflug nach Belize stellt für die Staatsanwaltschaft alles andere als eine amüsante Anekdote dar. Für die Staatsanwaltschaft ist die Mandarin Group ein Missing Link zwischen Buwog-Provisionen und Grasser. Die neuen Erkenntnisse sorgen auch bei den Beschuldigten für größte Nervosität und hektische Betriebsamkeit.

Angeklagte wittern Gefahr

Die schon bekannte Runde bestehend aus Grasser, Meischberger, Plech und Anwalt Toifl tritt im Oktober 2009 zusammen, man müsse den "Sukkus der wirklichen Gefahren behandeln: Die Mandarin-Überweisung ebenso wie den Immobilienfonds", hält Meischberger dazu in seinem Tagebuch fest. Toifl drückt sich in seiner Einvernahme am 15. März 2012 gemäß Protokoll, das dem STANDARD vorliegt, so aus: "Über die Mandarin bestand die Gefahr, dass durch die Justiz ein Zusammenhang zwischen Walter Meischberger und KHG hergestellt hätte werden können."

Also "sind die Verträge zu 'finden' und abzustimmen", gibt Meischberger gemäß Tagebucheintragung vor – was dabei herauskommt, nennt die Staatsanwaltschaft Herstellung von "Lugurkunden" für "Verschleierungshandlungen". Um die als gefährlich erachteten Verbindungen zu verwischen, seien unter anderem Kreditverträge für die 500.000 Euro erfunden und rückdatiert worden, lautet ein Vorwurf.

So versuchte Grasser laut Anklage, eine gefälschte Unterschrift einzuüben.

Eine der schrägsten Vertuschungsaktionen glaubt die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit einer Umdatierung eines Treuhandvertrags ausgegraben zu haben. Offenbar stammt Grassers Unterschrift darauf aus fremder Feder. Damit die Fälschung nicht auffliegt, probt Grasser laut Justizbehörde vor der ersten Einvernahme die (gefälschte) Unterschrift.

Der Vermögensverwalter

Dabei kommt eine weitere Figur ins Spiel, die in der Causa von einiger Bedeutung ist: Norbert Wicki. Der Schweizer Treuhänder und Vermögensverwalter kümmert sich um die Geldangelegenheiten des jungen Finanzministers, der deshalb regelmäßig in der Schweiz weilt und auch bei Wickis Hochzeit dabei ist. Als die Causa auffliegt, hilft auch Wicki bei der Vertuschung mit, mittels Treuhandverträgen sollte suggeriert werden, dass Grassers Gelder dessen Schwiegermutter gehören. So sieht es jedenfalls die Anklagebehörde, die Toifl und Wicki nicht nur Beweismittelfälschung, sondern auch Geldwäscherei vorwirft.

Was der Prozess bringt, lässt sich klarerweise nicht sagen. Klar ist nur, dass sich die Staatsanwaltschaft auf Indizien stützt. Viele Indizien, die so oder so bewertet werden können. An der Schuld darf es im Falle einer Verurteilung nicht den geringsten Zweifel geben. Auch möglich, dass der Prozess einen echten Paukenschlag bringt. Etwa indem ein Angeklagter umfällt oder ein Zeuge auspackt. So es überhaupt etwas auszupacken gibt.

Seitenstrang Terminal Tower

Die Unschuldsvermutung gilt natürlich auch in dieser Causa, zu der neben Buwog ein weiterer Komplex zählt. Es geht um ein Hochhaus am Linzer Bahnhof, in das sich oberösterreichische Finanz- und Zollbehörden einmieten. Errichtet wird das Projekt Terminal Tower von Porr und Raiffeisen Landesbank Oberösterreich unter bemerkenswerten Umständen. Letztlich fällt die Miete für das Büro höher als ursprünglich ausgemacht aus, dafür fließen 200.000 Euro an Provisionen. Die Justiz sieht das gleiche Muster wie bei der Buwog: Plech, Meischberger, Hochegger und Grasser wählen jenen Vermieter für die Finanz aus, der sich erkenntlich erweist. Das bringt auch mehrere Porr- und Raiffeisen-Verantwortliche auf die Anklagebank. Bankchef Ludwig Scharinger ist nach einem Unfall allerdings verhandlungsunfähig.

Die Buwog – ein Kriminalfall von besonderer Tragweite. Aber nicht nur. Die Buwog, das ist auch ein Kapitel österreichischer Politik. Grasser steht auch stellvertretend für die ab 2000 regierende schwarz-blaue Koalition, deren Geburtshelfer Wolfgang Schüssel und Jörg Haider waren. In diese Periode fallen auch andere Affären wie die Ausschreibung des Behördenfunks Tetron und der Telekom-Skandal (wenngleich der auch SPÖ-Stränge beinhaltet).

Die Grünen-Abgeordnete Gabriela Moser legt die Finger schon früh in schwarz-blaue Wunden, sie spielt bei der Aufdeckung des Buwog-Skandals eine wichtige Rolle. Sie erinnert sich.

Grünen-Abgeordnete Gabriele Moser: Rechtsstaat hätte in Buwog-Causa viel schneller agieren müssen.
DER STANDARD

STANDARD: Wie haben Sie recherchiert?

Moser: Ich habe ab 2000 parlamentarische Anfragen gestellt; und gut Informierte aus der Wohnungswirtschaft haben mich bewogen weiterzutun. Insgesamt wurden es mehr als 30 Anfragen.

STANDARD: Warum hat es noch so lange gedauert, bis die Buwog-Causa aufflog?

Moser: Strafrechtlich Relevantes hatte ich vorher nicht in der Hand, auch im sehr kritischen Rechnungshofbericht 2007 war diesbezüglich nichts drin. Von den Provisionen hatten wir ja nicht gewusst. Für mich war die Buwog bis dahin ein weiteres Beispiel dafür, wie Republikvermögen verschleudert wird. Das lief in der Kategorie "Unvermögen und Privaten etwas zuschanzen". Aber Unvermögen ist nicht kriminell.

Acht Jahre später gibt es eine rechtskräftige Anklage. Zur langen Verfahrensdauer tragen nicht nur die Beschuldigten bei, die alle erdenklichen Rechtsmittel einbringen, sondern auch die Justiz. Ihr unterlaufen immer wieder Pannen, etwa bei der Beschlagnahme von besonders geschützten Unterlagen von Rechtsanwälten. Der Strafsektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, räumt "vermeidbare Verzögerungen bei den Ermittlungen" ein, die rund ein Jahr gekostet hätten.

DER STANDARD

STANDARD: Die Staatsanwaltschaft hat mehr als acht Jahre ermittelt. Warum so lange?

Pilnacek: Die Staatsanwaltschaft war sehr bemüht, sämtliche Beweise aufzunehmen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, vorschnell, allenfalls sogar aus politischen Motiven Anklage zu erheben. Objektiv ist es eine sehr lange Verfahrensdauer, die aber ständig vom Bemühen getragen war, mit vielen Versuchen Geldflüssen nachzugehen, um den letzten Beweis zu finden.

STANDARD: Den hat man aber nicht gefunden.

Pilnacek: Die Staatsanwaltschaft baut eine sehr dichte Kette von Ermittlungsergebnissen und Indizien auf. Der Rest ist Aufgabe des Gerichts.

STANDARD: Ist den Betroffenen die Verfahrensdauer zumutbar?

Pilnacek: Objektiv ist das nicht zu rechtfertigen. Das haben wir 2014 zu erkennen gegeben, mit der gesetzlichen Begrenzung des Ermittlungsverfahrens auf drei Jahre.

STANDARD: Viele sagen, die Angeklagten seien selbst schuld an der Verfahrensdauer. Wie sehen Sie das?

Pilnacek: Es ist gut, dass die Verteidigung ihre Rechtsmittel hat. Es gab hier keine übertriebene Verzögerungstaktik.

"Hier ist einer am Werk, der schamlos in seine eigene Tasche arbeitet."

Hochaktive und hochbezahlte Anwälte, Pannen im Ermittlungsverfahren und der (vergebliche) Versuch, belastbare Beweise für Vorgänge von vor 15 Jahren zu finden, ziehen das Verfahren also bis heute in die Länge. Dabei gibt es schon 2003, nach einer anonymen Anzeige, Ermittlungen rund um Grasser und den Buwog-Verkauf. Der Vorwurf: Grasser und Mitarbeiter hätten bei "diversen Staatsgeschäften", etwa beim Verkauf der Buwog, abgecasht: "Hier ist einer am Werk, der schamlos in seine eigene Tasche arbeitet." Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ermittelt gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt und kommt zu dem Schluss: Die erhobenen Vorwürfe seien "haltlos".

Dann passiert so lange nichts, bis der Zufall die Geschichte neu schreibt.

Die Chronologie der Buwog-Affäre im Zeitraffer:

(red, APA)