Recep Tayyip Erdoğan, Präsident.

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Das Licht war im Oval Office noch gar nicht angezündet, da stürmte, elf Flugstunden von Washington entfernt, der Sprecher des türkischen Präsidenten in Ankara schon mit einer Ankündigung voran. Die Türkei lädt die 56 Staaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit bereits am nächsten Mittwoch zu einem Sondergipfel ein. Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist.

Sein Schmiedefeuer hatte der türkische Staatschef Tayyip Erdoğan schon am Vortag in Gang gebracht. "Herr Trump, Jerusalem ist die rote Linie für Muslime!", rief er in seiner wöchentlichen Rede vor den Parlamentsabgeordneten der konservativ-islamischen AKP aus.

Kampfansage an den Westen

Schnell ist Erdoğans Drohung von der "roten Linie" zum neuen Logo in den türkischen Nachrichtensendern geworden: eine Kampfansage an Donald Trump und den Westen überhaupt, in roter Schrift und vor der Silhouette des Tempelbergs. Doch auch die Opposition steht nicht zurück in ihrer Kritik an den USA. In Nahost werde einem Krieg der Boden bereitet, stellte Engin Özkoç fest, der Fraktionschef der sozialdemokratischen CHP.

Erdoğan erwartete am Mittwoch den schon länger geplanten Besuch des jordanischen Königs Abdullah in Ankara. Ein Aufruf Erdoğans an die muslimische Welt in Form eines Briefs werde veröffentlicht, so kündigte sein Sprecher auch an.

Themenwechsel

Für Erdoğan hätte die Krise um die Jerusalem-Anerkennung nicht besser kommen können. Seit Tagen muss sich der autoritär regierende Staatschef mit kompromittierenden Aussagen in einem Prozess in New York über Schmiergeldzahlungen an türkische Regierungsmitglieder und den Bruch von Iran-Sanktionen der USA plagen. Bankanweisungen, die der türkische Oppositionsführer der Öffentlichkeit präsentierte, brachten Erdoğan außerdem in Erklärungsnot. Nun bescherte ihm Donald Trump einen politischen Themenwechsel.

Die Türken fühlen sich an den denkwürdigen Moment 2009 beim Weltwirtschaftsforum in Davos erinnert. Damals verließ Erdoğan wütend eine Diskussionsrunde mit dem damaligen israelischen Präsidenten Shimon Peres. Erdoğan hatte vergeblich mehrmals "one minute!" verlangt – mehr Redezeit.

Der hitzige türkische Politiker war deshalb zum Liebling der "arabischen Straße" von Gaza bis Casablanca geworden. Erdoğan verlor seine Strahlkraft mit dem Krieg in Syrien und dem Sturz der Islamisten in Ägypten. Gaza besuchte er – anders als angekündigt – nie. Das könnte sich jetzt ändern. (Markus Bernath aus Istanbul, 6.12.2017)