Bild nicht mehr verfügbar.

Martin Schulz und Andrea Nahles beim Parteitag in Berlin.

Foto: Reuters/Bensch

Berlin – Das Dilemma der SPD, nicht nur bei diesem dreitägigen Bundesparteitag, sondern überhaupt, ist auf engstem Raum zu erleben. Groß ist die Halle im Berliner Cube, doch viele Delegierte und Gäste haben sich eingefunden, man sitzt also sehr beieinander. Das gilt auch für die Delegierten aus Bayern.

GroKo-Sondierungen, ja oder nein, es gibt im Moment nur diese Gretchenfrage. Für Andreas Schwarz aus Bamberg ist die Sache klar: "Demokraten verweigern sich keinem Gespräch. Ich bin dafür, dass wir zu den Sondierungen gehen." Denn diese werden aus seiner Sicht gar nicht schlecht ablaufen: "Die SPD ist selbstbewusst. Kanzlerin Angela Merkel will etwas von uns, und wir haben viel zu bieten."

Neben ihm ist Parteigenosse Wolfgang Schmidt (aus Roth, südlich von Nürnberg) gänzlich anderer Meinung: "Keine GroKo mehr." Er zählt alle Nachteile auf, die man in diesen Tagen so oft in der Partei hört: Die großen Parteien könnten ihre Unterschiede nicht genug herausarbeiten, die politischen Ränder würden gestärkt. Aber auch Schmied will konstruktiv sein und hat einen anderen Vorschlag: "Martin Schulz sollte mit Grünen und Linken Gespräche über eine Minderheitsregierung führen. Und wenn das klappt, dann kann die CDU die Koalition ja unterstützen." Nachsatz: "Aber bitte ohne die CSU."

Schulz entschuldigt sich

Martin Schulz aber zieht eine solche Option nicht in Betracht. Er hält gleich zum Beginn seine große, zentrale Rede und blickt dabei auf ein hartes Jahr 2017 zurück. Auf den Start mit 20 Prozent im Jänner, auf den "Schulz-Hype", auf die drei verlorenen Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen und auf das katastrophale 20,5-Prozent-Ergebnis bei der Bundestagswahl am 24. September.

"Es ist nicht leicht, hier zu stehen nach so einem Jahr. So ein Jahr habe ich noch nicht erlebt", sagt er und bekennt: "So ein Jahr kann man nicht einfach abschütteln. So ein Jahr steckt in den Knochen." Er könne die Uhr nicht zurückdrehen. Aber, so Schulz: "Ich bitte für meinen Anteil an unserer Niederlage um Entschuldigung." Die SPD habe es nicht geschafft, einen Gesamtentwurf für die Zukunft Deutschlands zu entwickeln. Daher sei die Erneuerung der Partei nun "zentrale Aufgabe".

Sein Ziel: "Basis und Parteispitze müssen wieder viel näher zusammenrücken." Dafür gibt es in der Halle viel Applaus, als auch Schulz "lebendige Debatten in der SPD" einfordert – und den Mut, Europa zu stärken. Dafür macht er einen Vorschlag: Bis 2025 soll es die Vereinigten Staaten von Europa geben, mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag. Jene Mitglieder, die dem nicht zustimmen wollen, sollten dann die EU verlassen.

Werben für Leitantrag

Aber es nützt nichts, nach einer guten Stunde, als alle Vorzüge und Stärken der Sozialdemokratie ausführlich gepriesen wurden, kommt Schulz, der kämpferisch spricht, zum heiklen Punkt, nämlich zu den anstehenden Sondierungsgesprächen mit der Union. Er stellt gleich einmal klar: "Wir wollen ergebnisoffen reden und schauen, zu welchen inhaltlichen Lösungen wir kommen können. Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen. Entscheidend ist, was wir durchsetzen können."

Und er skizziert die Vorgangsweise für die Gespräche mit der Union so: "Lasst uns zuerst sehen, welche Inhalte wir durchsetzen können, und lasst uns dann entscheiden, in welcher Form wir dies tun." Der Leitantrag des Vorstands kombiniere beides: Es gehe zuerst um die Inhalte, und es gebe "keinen Automatismus in irgendeine Richtung".

Schulz wiederholt dies extra und sagt dann feierlich: "Für dieses Vorgehen gebe ich euch meine Garantie!" Es gibt Applaus dafür, aber er ist nicht überbordend, man erkennt es immer wieder: Die SPD ist gespalten. Draußen, im Foyer, haben die Jusos eine "No-GroKo-Pinnwand" aufgestellt. Jeder kann darauf schreiben, warum er keine Sondierungen mit der Union will. Die Gründe sind sehr verschieden, etwa: "Eine GroKo stärkt den rechten Rand." Oder "Erst einmal sich selbst finden". Und: "Wir brauchen mehr Kontroversen im Bundestag." Und da steht auch mehrmals: "Mit den Arschlöchern koalieren wir nicht."

Doch der Antrag der Jusos, Sondierungen über eine große Koalition auszuschließen, bleibt deutlich in der Minderheit. Schulz und mit ihm der SPD-Vorstand setzen sich mit großer Mehrheit durch, nachdem Schulz kurz vor der Abstimmung noch einmal sein Wort gegeben und erklärt hat, er gebe sein Wort – es werde keinen Automatismus für eine große Koalition geben. Damit ist der Weg für Sondierungen frei.

Der zweite wichtige Tagesordnungspunkt erfolgt dann am Abend: Die Wiederwahl des Parteivorsitzenden. Sensationelle 100 Prozent hatte Schulz bei seiner ersten Wahl im März 2017 erhalten. Es war klar: Dies würde nicht zu wiederholen sein. Schließlich werden es 81,9 Prozent, und ihm ist sofort die Erleichterung anzusehen. Unter 80 Prozent, hatte man zuvor gehört, wäre es kein schönes Ergebnis gewesen. "Nach allem, was hinter uns liegt, bin ich dankbar für diesen Vertrauensbeweis", sagt Schulz zu den Delegierten. Er selbst erinnert auch an die 100 Prozent im März und zieht daraus eine Schlussfolgerung: "Das war ein schöner Moment, aber danach kamen schwierige Zeiten." Er wünsche sich, "dass nun auf Grundlage dieses Ergebnisses bessere Zeiten kommen". (Birgit Baumann aus Berlin, 7.12.2017)