Wien – Fake-News lassen sich allein an der Struktur der User-Interaktionen erkennen. Wie der israelische Physiker und Netzwerkforscher Shlomo Havlin sagte, könne "ohne Kenntnis des Textes nur durch Analyse der Netzwerkstruktur mit hoher Genauigkeit zwischen Fake- und Real News unterschieden werden". Havlin von der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv, einer der meistzitierten Forscher Israels, hält am Montag einen Vortrag in Wien.

Anhand von Daten aus China und Japan konnte Havlin gemeinsam mit chinesischen und japanischen Forschern zeigen, dass sich die Struktur eines Fake-News-Netzwerks – also wie Menschen Fake-News teilen, kopieren und damit interagieren – stark von jenen Netzwerken unterscheidet, in denen mit anderen Themen interagiert wird. "Bereits rund 100 Minuten nachdem Fake-News kopiert und geteilt wurden, lassen sich große Unterschiede feststellen", so der theoretische Physiker, der die Ergebnisse der Studie demnächst veröffentlichen wird.

Aufdeckung kontraproduktiv

Es ist die zweite Arbeit binnen kurzer Zeit, in der sich der 75-Jährige dem Phänomen Fake-News aus Netzwerksicht genähert hat. Im Sommer hat er gemeinsam mit der venezianischen Komplexitätsforscherin Fabiana Zollo in einer im Journal "Plos One" veröffentlichten Studie gezeigt, dass systematisches Aufdecken von Pseudowissenschaft, Verschwörungstheorien oder Fake-News in sozialen Netzwerken nicht wirkt, ja sogar kontraproduktiv ist. Solche Einwände würden ignoriert, gleichzeitig steige danach die Aktivität in der entsprechenden Echokammer.

Schwerpunktmäßig beschäftigt sich Havlin mit der Stabilität komplexer Systeme und Netzwerke wie dem Internet, dem Klima, Verkehr oder dem Städtewachstum sowie der zunehmenden Anfälligkeit von voneinander abhängigen Netzwerken. In Wien wird der Wissenschafter über die Möglichkeit von kaskadenartigen Ausfällen in solchen ineinandergreifenden Netzwerken sprechen.

Werkzeug für alle Disziplinen

Forscher unterscheiden dabei zwei Arten voneinander abhängiger Netzwerke: Jene mit im Vergleich zur Größe des Systems relativ kurzen Verbindungen ("space embedded networks"), etwa das Stromnetz oder das Transportsystem, und solche mit sehr langen Links ("non-embedded networks") wie das Internet oder soziale Netzwerke. Es zeige sich, dass erstere deutlich anfälliger seien als etwa das Internet "und bereits kleine lokale Störungen reichen aus, um zu Ausfällen zu führen, die sich lawinenartig ausbreiten", so Havlin.

"Ich versuche die Leute zu überzeugen, dass Netzwerke ein wichtiges Werkzeug sind, um verschiedenste Phänomene zu verstehen", sagte der Forscher. Mehr und mehr Bereiche würden dies auch erkennen. "Die Mathematik von Netzwerken ist allgemeingültig, deswegen beginnen in nahezu allen Disziplinen Leute, an Netzwerken zu arbeiten – von Medizin, Biologie, Ökonomie bis zu sozialen Netzwerken wird zunehmend klar, wie wichtig dieses Werkzeug ist."

Man sei erst am Anfang, Netzwerke zu verstehen. Und wie immer in der Wissenschaft gelte dabei: Je mehr man wisse, desto größer werde das Nichtwissen. Havlin: "Was wir jetzt wissen, reicht aber schon aus, um es zu unserem Nutzen anwenden zu können." Eines der schwierigsten Probleme sei dabei, die verschiedenen Verbindungen zwischen den Objekten eines Netzwerks zu identifizieren. "Wenn man die richtigen Links und Zusammenhänge kennt, kann man verschiedenste Phänomene des Lebens studieren – da werden wir noch viele Durchbrüche erleben in Zukunft."

Verbesserte Klimavorhersagen

Ein solcher Durchbruch ist Havlin vor einigen Jahren gemeinsam mit dem deutschen Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber gelungen: Die beiden hatten eine neue Methode zur Vorhersage des Klimaphänomens El Niño entwickelt und damit dessen Auftreten bis zu 18 Monate im Voraus vorhersagen können. Bis dahin konnte das Phänomen nur sechs Monate im Vorfeld prognostiziert werden.

"Wir haben nach bestimmten Interaktionen im globalen atmosphärischen Geschehen gesucht, die sich im Vorfeld eines El Niño verändern", sagte Havlin. Fündig wurden die Wissenschafter bei Verknüpfungen zwischen Lufttemperaturen von verschiedenen Regionen im Pazifikraum. Die Klimaforscher hätten schon lange solche Fernverbindungen gekannt, "sie erkannten aber nicht, dass man auf die zeitliche Entwicklung dieser Verbindungen schauen muss – denn sie verändern sich sogar ein Jahr bevor El Niño losgeht", so Havlin. (APA, 10.12.2017)