Wien – Weihnachten fiel in Wien in diesem Jahr auf den 6. Dezember: Grigorij Sokolov beehrte an diesem Tag das Konzerthaus. Bei den Haydn-Sonaten, die der 67-jährige Ausnahmepianist en suite spielte, schuf er in sich geschlossene, ideale Welten. Sokolov – verwendet er fast durchwegs das Pianopedal? – attackierte die Tasten auf die sanfteste Weise, kreierte so das weichste Martellato der Welt und Töne wie winzige, pralle Wattebällchen.

Im Kopfsatz der frühen g-Moll Sonate Hob. XVI/44 durchzogen feine melodische Linien den Werkkörper wie wärmende Blutgefäße. Überraschend behutsam die Eröffnung der h-Moll Sonate Hob. XVI/32, dem Hauptthema gestattete er erst in der Reprise eine martialische Prägung. Vitale Impulse und gut abgefederte Wucht belebten die cis-Moll Sonate Hob. XVI/36; das Cis-Dur-Trio im finalen Menuetto war von Schubertscher Entrücktheit.

Wie aus der Zeit gefallen

Auf Haydn, den Langzeitentwickler der Gattung Sonate, folgte deren Vollender: Ludwig van Beethoven. Rhapsodisch frei der Beginn der e-Moll Sonate op. 90, wie aus der Zeit gefallen. Im h-Moll Themenfeld des Kopfsatzes blitzte Beethovens bissige Radikalität auf: Die Sforzati der rechten Hand glichen Messerstichen in die Samtkissen der Begleitung der linken Hand.

Es folgte eine weitere zweisätzige Sonate mit einer Moll-Dur-Dramaturgie: die c-Moll Sonate op. 111, das letzte Kapitel des Neuen Testaments der Klaviermusik. Fast zu kontrolliert, zu wohlausgewogen das Toben und Rasen im Kopfsatz, Allegro con brio ed appassionato. Die allumfassende Arietta buchstabierte Sokolov im Zeitlupentempo, sang schon die ersten Variationen überlaut aus, wie eine klotzige Liszt-Etüde dann die jazzige dritte Variation. Engelhaft entrückter Pianissimo-Klangzauber entschädigte am Ende dafür.

Sechs Zugaben, darunter ein traumhaftes Regentropfenprélude, und Begeisterung nach drei Stunden: Weihnachten war wundervoll dieses Jahr. (Stefan Ender, 8.12.2017)