Zwei leibhaftige Königinnen krachen sehr schmerzhaft aneinander: Elisabeth Rath (Maria Stuart) und Sandra Cervik (Elisabeth, re.) in Friedrich Schillers "Maria Stuart".

Foto: APA / Theater in der Josefstadt / Moritz Schell

Wien – Die Uhr hat noch nicht halb acht geschlagen, da ruft schon der Inspizient nach "Licht" und, wenig später, nach "Frau Cervik". Die Stimme des unsichtbaren Einweisers steht im Josefstadt-Theater in den Diensten des zweitliebsten Schulbuchklassikers der Deutschen, Friedrich Schiller. Gegeben wird dessen Maria Stuart.

Dieser Großtat der Weimarer Klassik entsinnt man sich mit Schauern der Angstlust. In ihr krachen zwei Königinnen – Maria und Gegenspielerin Elisabeth I. von England – schmerzhaft aneinander. Schiller verpackt in den Zweikampf nicht nur den kalkulierten Gegensatz von kalter Urteilskraft und betörender Sinnlichkeit. Zwei stolze Frauen, auf der Höhe ihrer erotischen Mittel stehend, nehmen politisch aneinander Maß. Das geht absehbar schlecht aus, für beide. In der Josefstadt betritt eine maskenhaft starre Diva (Sandra Cervik) im Pelz die kahle Bühne (Ausstattung: Herbert Schäfer). Prompt verschwindet ihr Antlitz hinter einer dicken Schicht Nivea. Sukzessive verwandelt sich die Schiller'sche Elisabeth in einen Roboter des höfischen Absolutismus.

Wie ein Raubtier

Cervik kaut während ihrer Schminkanstalten wie ein Raubtier an zentralen Monologbrocken herum. Sie spricht über den Einsatz ihrer königlichen Virginität ("mein höchstes Gut") als Einsatz im Ränkespiel um Lust und Macht. Diese hinreißende Elisabeth zeigt sich vor dem Spiegel selbst die Zähne – und spricht dabei aus Spaß wie eine Döblinger Kanzleiratswitwe. Wäre der Abend hier zu Ende, man würde sich an ihn – nicht wegen seiner Kürze – mit einem warmen Gefühl der Dankbarkeit erinnern. Maria Stuart wäre von Regisseur Günter Krämer auf die royale Essenz heruntergekocht worden.

So aber nimmt die Inszenierung einen eher befremdlichen Verlauf. Auf das Hin- und Herstaksen gestandener Offiziere im Palast zu Westminster möchte der Spielleiter doch nicht verzichten. Vor einer weißen Papierwand sind lauter stramme Generalstäbler zu besichtigen; man vermeint, gleich komme Lord Kitchener herein und befehle den Abmarsch zum Burenfeldzug.

Liebster Bettschatz

So entfaltet eine auf hundert Minuten heruntergekürzte Klassikernachstellung ganz unerwartet eine kolossale Geschwätzigkeit. Der Abgesandte des Dauphins (Florian Carove) gibt einen wüsten Zirkusartisten. Der Königin liebster Bettschatz aber – so viel zum Thema Virginität! – ist die strahlend weiß uniformierte Salonschlange Leicester (Tonio Arango). Dieser aasige Robert Dudley spielt ein gewagtes Doppelspiel zum Grammophonjazz von Billie Holiday. Welche der beiden Königinnen wird ihn wohl erhören? Die Dramaturgin der Unternehmung heißt: Lieschen Müller.

Maria Stuarts (Elisabeth Rath) großer Auftritt, eine Art Best-of ihrer erhabensten Verse, macht trotz Raths aschfarbenem Tragödinnenehrgeiz – in Zwiesprache mit der eigenen Totenmaske – kaum Eindruck. Bleibt noch die Gipfelkonferenz der Königinnen im laubverzierten Park von Fotheringhay. Die Begegnung nimmt durch Marias Unbeherrschtheit eine bedenkliche Wendung. 19 Jahre Haft enden für Schottlands gewesene Königin trotz diverser aufschiebender Wendungen auf dem Schafott.

Daran konnte Schiller nichts ändern, an diesen betrüblichen Gang der Dinge will auch Krämer nicht rühren. Cervik sorgt als Elisabeth für ein paar letzte Beklemmungsmomente als Eiskönigin. Dann darf auch der Josefstadt-Inspizient wieder seine Ruhe haben. Und siehe da, die Schiller-Klötze verschwinden im Reclam-Baukasten. Dieses Tragödiennachbaus mit deutlich geringerer Anzahl von Steinen hätte es nicht bedurft. (Ronald Pohl, 8.12.2017)