Um zu ermessen, in welch ein Wespennest die Verhandler der türkis-blauen Koalition mit ihrer Einigung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit gestochen haben, muss man einen näheren Blick auf die Organisation der Sozialpartnerschaft und deren Wirken werfen. Vor jeglicher Verhandlung stehen einander die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in einer Sturheit gegenüber, die sich aus jahrzehntelang aufgebauten Vorurteilen speist: Da pflegen die Gewerkschafter das Bild von Arbeitgebern als Ausbeutern, die ihre Mitarbeiter wie Sklaven behandeln und um ihren gerechten Lohn prellen.

Minimalkonsens als Lösung

Die Gegenseite ist nicht faul, wenn sie das Gegenbild von arbeitsscheuen Lohnempfängern zeichnet – und von Gewerkschaftern, die Leistungsverweigerer schützen und Arbeitsleistung in jeder Weise minimieren wollen. Dann setzt man sich zusammen und kommt zu irgendeiner Lösung. Meist ist diese nicht mehr als ein Minimalkonsens.

Der steht dann in Kollektivverträgen und Gesetzen; übrigens nicht nur in Österreich, sondern auch im EU-Recht.

Dabei wird geregelt, was sich für klassische Fabriksarbeit an Arbeitszeiten, Arbeitsumgebungen, Arbeitsentlohnungen regeln lässt. Nur kennt die heutige Arbeitswelt immer weniger normierte Fabriksarbeit – nicht im weiten Bereich der Dienstleistungen, aber auch immer weniger in den Industriebetrieben, die mit stressigen Lieferterminen leben müssen. Es stimmt schon: Ein Arbeitszeitverständnis und dementsprechende Regelungen aus dem vorigen oder gar vorvorigen Jahrhundert können da hinderlich sein.

Drei Zwölfstundenschichten

Es stimmt auch, dass viele Arbeitnehmer heute andere Zeitvorstellungen haben als ihre Gewerkschaft. Junge ledige Arbeitskräfte wollen vielleicht ihre Wochenarbeit in drei Zwölfstundenschichten erledigen, um vier Tage Sport treiben zu können. Nur wenige Jahre später, wenn sie kleine Kinder haben, erleben dieselben Menschen schon neun Stunden täglicher Arbeit als unvereinbar mit dem Familienleben. Das Problem ist, dass sich solche individuellen Vorstellungen vielleicht mit gutwilligen Arbeitgebern vereinbaren lassen – dass die damit verbundenen Ansprüche aber nur sehr schwer normierbar sind. Noch schwieriger wird es, wenn das Misstrauen überwiegt. Das bekommt jetzt die FPÖ zu spüren: Sie hat jahrelang versprochen, die Interessen des "kleinen Mannes" besser zu vertreten als die Gewerkschaft – und dabei übersehen, dass sie sich zur Gefangenen der Gewerkschaftsargumentation gemacht hat. (Conrad Seidl, 8.12.2017)