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Anna Netrebko und Yusif Eyvazov in "Andrea Chenier".

Foto: Reuters / Scala

Von der Mailänder Scala nahm zwar Umberto Giordanos Andrea Chenier 1898 seinen Ausgang. Aber seit mehr als dreißig Jahren ist die Oper nicht gespielt worden. Intendant Alexander Pereira ist es jedoch wichtig, die große Tradition seines Hauses herauszustreichen, also die hier entstandenen Werke zu zeigen. Insbesondere bei der Saisoneröffnung am Tag des Mailänder Stadtheiligen Ambrosius. Helfen soll auch der Hype um Anna Netrebko, die als Maddalena zur "neuen Callas" emporempfohlen wird. Dass ihr Ehemann Yusif Eyvazov auch singt, sorgte für zusätzliche Aufregung. Doch er fürchte sich nicht vorm Buh-Gewitter, ließ er wissen.

Auch sonst recht Interessantes: Die Eintrittspreise sind mit 300 Euro wieder angehoben worden. Die Polizei, die vor allem 2015 nach den Pariser Terrorakten die Scalas zu einer gesicherten Festung gemacht hatte, bleibt fast unauffällig im Hintergrund – wie auch die traditionellen Gegendemonstrationen "für das Volk" und "gegen Profit!".

Keine Umbauten

Über Opernaktualisierung musste sich niemand aufregen. Über diese hatte sich der Musikdirektor der Scala Riccardo Chailly ja schon öfters lautstark geärgert. Auch an "seiner" Scala. Mit Mario Martone konnte aber für Chailly nichts schiefgehen. Martone setzt die Handlung in Bilder um, die an die Historiengemälde zur Französischen Revolution (Bühnenbild: Ursula Patzak) unter anderem an Eugene Delacroix denken lassen. Bisweilen erstarrt der recht unbewegliche Chor zu quasi lebenden Bildern.

Die Möglichkeit, zwischen Totale und Nahaufnahme zu wechseln, kann in der TV-Aufzeichnung die Dialektik von privatem Einzelschicksal und historischem Hintergrund reizvoll sein. Bei der Aufführung selbst ist dieser Dynamisierung nur eingeschränkt möglich. Immerhin: Chaillys Dirigat kommt entgegen, dass es in Martones Inszenierung keine Unterbrechungen und Umbauten gibt. Die Szenen sind simultan oder wechseln auf offener Bühne, die Handlung bleibt immer im Fluss. Die symphonische Struktur und langsame Entwicklung der Figuren in Giordanos Oper rücken dadurch ins Zentrum; Zwischenapplaus bei Nummern wird gezielt ausgewichen.

Sympathischer Gatte

Mit weichen Klänge und auch vor Pathos und Sentimentalität nicht scheuend lässt Chailly das Orchester mit den Protagonisten geradezu mitatmen. Auch schon zu Beginn, wenn Luca Salsis Stimme (als Diener Carlo Gerad) die Scala füllt. Yusif Eyvazov meistert – gegen alle Befürchtung – die Titelrolle als geradezu treuherziger Revolutionsschriftsteller durchaus. Natürlich nicht so überzeugend wie Anna Netrebko: Sie fasziniert immer wieder auch in den Tiefen und bleibt souverän in ihren dramatischen Ausbrüchen.

Und doch war es gerade das Zusammenspiel der beiden, das nicht ohne Sinn wirkte: hier ein nicht mehr ganz junges, sich gegenseitig stützendes und einander vertrauendes Liebespaar. Andrea Chenier als Oper der Treue.

Dennoch: Eröffnungsglanz wollte sich nicht wirklich einstellen. Die Messungen über den Beifall bei den jährlichen Mailänder-Scala-Eröffnungen zeigen, dass die Länge des Applauses heuer mit nur elf Minuten 2017 deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt lag. (Bernhard Doppler aus Mailand, 8.12.2017)