Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz greifen nach der Macht – offen ist, wie diese zu packen ist.

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Wenn alles, wirklich alles, auf Punkt und Beistrich festgeschrieben ist, dann ist noch immer nicht alles fix. Noch waren am Sonntag etliche Punkte zwischen ÖVP und FPÖ offen, als sich die Spitzenverhandler zu einer neuerlichen Open-End-Sitzung zusammensetzten.

Am Feiertag hatte es schon eine solche Nachtsitzung gegeben, da waren die Koalitionsmacher elf Stunden lang bis drei Uhr früh am Samstagmorgen beisammen gewesen. Und was man bis Montagfrüh nicht hat, das will man eben im Verlauf des Montags, vielleicht noch des Dienstags klären. Aber selbst wenn es dann ein unterschriftsreifes Papier geben wird, muss dieses noch in den türkisen und den blauen Gremien abgestimmt werden. Das ist mehr als eine Formsache – obwohl die Parteichefs Heinz-Christian Strache und noch mehr Sebastian Kurz ihre Parteien im Griff haben dürften.

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Zwei Koalitionspakte sind geplatzt

Immerhin zweimal hatte es in der Zweiten Republik mehr oder weniger fertig ausgehandelte Koalitionsvereinbarungen gegeben, deren Ergebnis von den Parteigremien eines potenziellen Koalitionspartners nicht akzeptiert wurde. 1966 hatten Bruno Pittermann, Bruno Kreisky und Alfred Schachner-Blazizek für die SPÖ mit der ÖVP verhandelt, die zwar die absolute Parlamentsmehrheit hatte, dennoch aber die große Koalition fortsetzen wollte. Weil die ÖVP der SPÖ aber keine formellen Zusagen in einem formellen Koalitionspakt machen wollte, verzichtete die SPÖ auf die Regierungsbeteiligung.

Ähnlich lief es 1999/2000: Da hatte die SPÖ den auf eine Oppositionsrolle eingeschworenen ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel wochenlang bekniet, doch noch eine Koalition einzugehen – woraufhin dieser die Bedingungen so hochschraubte, dass der Gewerkschaftsflügel der SPÖ nicht mitgehen konnte. Daraufhin koalierte Schüssel (mit einem im Wesentlichen unveränderten Regierungsprogramm) mit der Haider-FPÖ.

Diesmal ist es jedoch nicht wahrscheinlich, dass einer der Partner abspringt, doch je länger die Verhandlungen dauern, desto mehr Gewicht bekommen die Zweifler in den jeweiligen Parteien. So wurde Strache in den vergangenen Tagen daran erinnert, dass er schon 2013 den – nun mit der ÖVP akkordierten – Zwölfstundentag abgelehnt hatte.

Wie man in Facebook-Diskussionen – und in zwei Kurier-Gesprächen, zu denen Strache und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl separat ausgerückt waren – nachlesen konnte, kostet es die künftigen Partner enorme Mühe, die Diskussion wieder einzufangen und die Botschaft zu vermitteln, dass man ohnehin auf Arbeitnehmerschutz und Überstundenbezahlung Rücksicht nehmen werde.

Heikle Personalfragen

Gleichzeitig mit den inhaltlichen Unsicherheiten treten nun die personellen Unwägbarkeiten auf: In beiden Parteien gilt es, die Wünsche einzelner Interessengruppen und einzelner unverzichtbarer Exponenten zu berücksichtigen, ehe deren Anhänger vielleicht Querschüsse anbringen können. Was die Sache auch zu einer Zeitfrage macht: Wenn nicht bald eine Einigung erzielt wird, könnten interne Kritiker Zeit bekommen, sich zu formieren und Zusatzforderungen zu stellen oder Kompromisse infrage zu stellen.

So haben die Freiheitlichen im Wahlkampf eher nebenbei erklärt, dass sie verhindern werde, dass das bereits beschlossene generelle Rauchverbot in der Gastronomie im kommenden Jahr wirklich umgesetzt wird. Während der Koalitionsverhandlungen wurde das Thema aber nun derartig hochgespielt, dass die FPÖ kaum mehr hinter diese Position zurückgehen kann. Allenfalls kann sie sich darauf zurückziehen, dass das Rauchverbot nicht 2018 kommen wird, sondern eben später – der Sankt-Nimmerleins-Tag wird es aber kaum werden können.

Für ein mögliches Tauschgeschäft, das der ÖVP im Gegenzug Genüge tun würde, ist Ceta, das Freihandelsabkommen mit Kanada, im Gespräch. Die FPÖ, die das Thema direkte Demokratie ja besonders forciert, hatte dazu eine Volksabstimmung angekündigt. Über ein Thema, das der ÖVP gar nicht gefallen würde, ist sie doch klar für das Abkommen. Nun scheint möglich, dass die FPÖ auf einen Volksentscheid zu Ceta verzichten könnte. Dann wäre eine plangemäße Ratifizierung im Parlament im kommenden Jahr möglich.

Rauchverbot als mögliches Ablenkungsmanöver

Vielleicht ist das mehr oder weniger öffentlich praktizierte Tauziehen um das Rauchverbot aber auch eine bewusste Inszenierung, damit andere, öffentlich nicht ausgesprochene und weniger leicht zu vermittelnde Knackpunkte in der Sozial-, Steuer- und Budgetpolitik sowie im gesamten Komplex des Föderalismus, aber auch der Kammern, nicht zu früh an die Oberfläche gespült werden.

Was eine mögliche koalitionäre Forderung nach Abschaffung der Kammerpflichtmitgliedschaft anlangt, sagte Landwirtschaftskammerpräsident Hermann Schultes am Sonntag in der ORF-Pressestunde sehr dezidiert: "Ich weiß, dass es nicht sein wird."

Die FPÖ, die derzeit keinen Landeshauptmann stellt, tut sich relativ leicht, Länderkompetenzen und insbesondere das Gewicht der Landeshauptleutekonferenz infrage zu stellen. In der FPÖ hat die Wiener Landesorganisation traditionell viel Gewicht (und viel Geld). Kurz tut sich da erheblich schwerer, seine Partei wird viel stärker von den Landesorganisationen getragen – und deren Gefolgschaft für die türkise Bundesorganisation ist nur dann gegeben, wenn das auch für die Landespolitik vorteilhaft ist. Was vor allem vor Landtagswahlen (2018 in Niederösterreich, Salzburg, Tirol und Kärnten, wo die ÖVP allerdings schwächelt) von Bedeutung ist.

Ministerien als Machtbasen

Dabei geht es – allen Beteuerungen zum Trotz – vordringlich um Personen und die damit verbundenen Machtpositionen. Die Tiroler ÖVP stellt beispielsweise mit Andrä Rupprechter den Landwirtschaftsminister – und dessen Position ist nicht unumstritten. Zum einen drängen die Niederösterreicher darauf, dass Klaudia Tanner den Job bekommt – die niederösterreichische Bauernbunddirektorin bringt Erfahrung ebenso aus dem Management wie aus der Politik mit. Wenn dann auch noch der Niederösterreicher Wolfgang Sobotka in das Finanzministerium aufrücken sollte, wäre das für den Niederösterreich-Wahlkampf der ÖVP eine willkommene Starthilfe.

Dem steht allerdings entgegen, dass die Tiroler, die der neue ÖVP-Chef Kurz ohnehin vor den Kopf gestoßen hat, als er Kira Grünberg zur Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl gemacht hat, dafür Ausgleich erwarten. Außerdem könnte das Landwirtschaftsministerium um die Umweltagenden erleichtert werden.

Hier könnte sich die Möglichkeit ergeben, das Verkehrsministerium mit den Umweltzuständigkeiten aufzufetten und womöglich die für Energie zuständige Sektion III des Wirtschaftsministeriums gleich dazu. Damit würde für die Freiheitlichen ein Superministerium geschaffen, in dem Norbert Hofer enorme Macht in Form von Budgetmitteln und von populären Auftritten als Umweltminister bekäme. Eine quasi ideale Bühne, um sich ständig im Gespräch zu halten – für alle Fälle.

Hofers Ringen um Präsenz

Hofer hat ja nicht nur Sympathien für die Themen Infrastruktur und Umwelt (die er selbst verhandelt hat) gezeigt, er hat auch seinen Anspruch nicht aufgegeben, eines Tages Bundespräsident zu werden. Da sich Amtsinhaber Alexander Van der Bellen guter Gesundheit erfreut, könnte das noch elf Jahre dauern, in denen Hofer Präsenz in der Spitzenpolitik brauchen würde.

Apropos Van der Bellen: Der Bundespräsident hat sich ja vorbehalten, zumindest mit jenen Ministerkandidaten, die er nicht kennt, Einzelgespräche zu führen, bevor er eine von Kurz vorzulegende Kabinettsliste genehmigt. Auch das könnte noch ein paar Tage dauern, weil die Personalvorschläge erst dann gemacht werden können, wenn die künftige Ministerienstruktur fixiert ist. Da könnte es ein "Superressort" im Bildungsbereich geben, falls ÖVP und FPÖ das derzeitige Bildungs- und das Familienministerium fusionieren und um die aus dem Wirtschaftsressort wieder herausgelösten Wissenschafts- und Forschungsagenden anreichern. Strache hatte vor zweieinhalb Wochen wissen lassen, dass zu den verhandlungstechnisch "guten Bereichen" Bildung, Wissenschaft und Forschung gehören. (Conrad Seidl, Lisa Nimmervoll, 10.12.2017)