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Balthus’ "Träumende Thérèse" (1938) aus dem Metropolitan Museum.

Foto: Fondation Pierre Gianadda / Reuters

Wien / New York – Erregungspotenzial hätte damals bereits der Titel gehabt: Girls and Cats, also "Mädchen und Katzen", lautete 2013 der Titel der Balthus-Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum (Met). Ein recht billiger Effekt, aufbauend auf der Tatsache, dass die Frau als aufreizendes Schmusekätzchen spätestens seit Michelle Pfeiffers laszivem Cat-Woman-Miauen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Es war nicht nur Balthus’ Träumende Thérèse (1938), die aktuell als Teil der Sammlungspräsentation Modern and Contemporary des Met zu sehen ist und – geht es nach den inzwischen 11.500 Stimmen auf Mia Merrils Online-Petition – entfernt werden soll, sondern es waren ganze 34 Bilder von jungen Mädchen an der Schwelle zur Pubertät. Auf einigen Bildern von Balthasar Klossowski de Rola (1908-2001), genannt Balthus, dem selbsternannten "König der Katzen", tummelten sich auch Miezen, um den erotischen Moment zu steigern.

Freilich, auch diese Schau wurde kontrovers diskutiert, von "Abhängen!" war aber nicht die Rede. Trotzdem nahm damals die Debatte rund um eine mögliche pädophile Neigung Balthus’ und die Frage, ob man sich zum Komplizen seines Voyeurismus mache, erst nach und nach Fahrt auf. An ebenjenem Gemälde von Thérèse Blanchard mit dem hochgerutschten Rock schien Roberta Smith, renommierte Kritikerin der New York Times, sogar etwas völlig anderes zu interessieren: "So dargestellt, dass ein Stück weißen Höschens sichtbar ist, schüchtert uns Thérèse ein – nicht mit ihren wunderschön dargestellten Armen, Beinen und ihrem Profil, sondern mit der inneren Tiefe, die sie ausstrahlt."

Ob "psychologisch komplexe Studien" oder "ins Allegorische entrückt", die Kritik sprach das Bild aufgrund seiner künstlerischen Überhöhung mehrheitlich frei. Und auch der Katalog zur Ausstellung (deutschsprachig bei Schirmer/Mosel), der die Thérèse aufs Cover und somit in die außermuseale Öffentlichkeit hob, provozierte keine weitere Entrüstung.

Käufliches Souvenir

Für "schuldig" befand man hingegen die Polaroids des Mädchenmalers von der Minderjährigen Anna Wahli, die damals zeitgleich in der Gagosian Gallery angeboten wurden: In den Fotos sexualisierte er die Pubertierende, inszenierte sie mit entblößter Brust oder als Goya-gleiche Maya. Das Mädchen wurde so als käufliches Souvenir der Lüsternheit ausgebeutet.

Startschuss für die Empörung, die dann zwei Monate später im deutschsprachigen Feuilleton ankam, war allerdings erst die Veröffentlichung einiger Polaroids auf der Webseite des New Yorkers. Also just in dem Moment – und das macht den alten Skandal für die laufende Diskussion um kritisierte "sexuell suggestive Pose" so interessant –, in dem die Bilder ihren eigentlichen Kontext verloren hatten und losgelöst von Ideen und Konzepten der Präsentation im Netz auftauchten.

"Der schützende Rahmen des Museums ist keiner mehr. Die Kunst ist mobil geworden. Sie wird handyfiziert", diagnostiziert Hanno Rauterberg in der Zeit. Das macht das Urteil über Kunst und ihre Freiheiten gegenwärtig so schwierig: Denn welche Regeln gibt es für das Darstellbare außerhalb des Museums? Gegenwärtig gelten für die Werke, die auf dem Smartphone in die Welt hinausgetragen werden, die Maßstäbe von Facebook, Gemälde stehen fast auf der gleichen Stufe wie Dick-Pics.

Fix ist, das Museum ist im besten Fall ein Ort, an dem man sich selbst fremd werden darf. Im geschützten Rahmen ermöglicht er, sich mit Fragen von moralischen Grenzen auseinanderzusetzen. Dass man sich an Träumende Thérèse stößt, dass man das Bild als Reibebaum nutzt, um vor dem Hintergrund von #MeToo sexuellen Missbrauch auch aus anderen Perspektiven zu erörtern, ist gut so. Nur darf man dafür die Kunst, die solche Debatten anzetteln kann, nicht ins Depot verbannen. Und zum Glück denkt das Metropolitan Museum auch gar nicht daran. (Anne Katrin Feßler, 14.12.2017)