Annette Ahrens, Expertin für historische Tafelkultur, und das Ehepaar Faltus eint die "Liebe zu Porzellan", um 1792 entstand die gleichnamige Figurengruppe.

Foto: Stefan Brodek

Mäusefänger erfüllten in der Wiener Residenzstadt einst eine wichtige Funktion und boten ihre Dienstleistungen auf der Straße an. Die der Gruppe der sogenannten "Kaufrufe" zugehörige Figur entstand um 1770.

Foto: Im Kinsky

Perückenmacher galten gemeinhin als Vertraute, Sekretäre oder Liebesboten. Manchmal verfielen sie ihrer Hofdame auch mit Haut und Haar, wie diese um 1760 gefertigte Gruppe zeigt.

Foto: Im Kinsky

Warum der Mensch sammelt? Weil er einen "Vogel" hat, lautet die unverblümte Antwort von Hilde Faltus. Es sei aber auch ein kreativer Akt und ein Beitrag, Kulturgut für nächste Generationen zu retten und zu bewahren. Im Falle von Hilde und ihrem Ehemann Friedrich geht es um Porzellan, um fragile Kunstwerke einer längst vergangenen Hofkultur.

Das Interesse am Material entfachte ein weißes Kännchen aus der Frühzeit der Meissener Manufaktur, das ihnen ein Freund geschenkweise überließ. Der Auslöser lauerte jedoch in Malta, wo sie im Zuge ihrer Hochzeits reise bei einem Antiquitäten- händler zwei Gärtnerfiguren entdeckten.

Die Beschaffung des Geldes, erzählt Hilde Faltus, habe damals mehrere Tage gedauert. Die Heimreise trat man schließlich mit den Trouvaillen an, die zur Initialzündung einer nun seit Jahrzehnten währenden "maladie de porce laine" wurden.

Sieht man von Wiener Uhren, Ballspenden und Schallplatten ab, denn auch derlei wird von dem Ehepaar gesammelt. Porzellan blieb jedoch die nachhaltigste Leidenschaft, und die Empfehlung einer Porzellanexpertin des Dorotheums, sich auf Wiener Figuren zu beschränken, bezeichnet Faltus als Schlüsselmoment. Diese Form der "Beschneidung" des Sammelbaren habe sich rückblickend als wichtige Speziali sierung und Qualitätssicherung herausgestellt.

Die Figuren in der Sammlung Faltus zeigen ein Panoptikum an zeittypischen Frisuren. Darunter Perücken mit langen Zöpfen, die sowohl von Männern, als auch von Frauen getragen wurden.
Album Verlag, Studio Brodek, S. Menschhorn

London, Paris, Wien

Es folgten Erwerbungen bei spezialisierten Händlern in London, Paris, Nizza, Prag oder Wien oder auch Ankäufe in Privatsammlungen und Auktionshäusern, im Dorotheum und vor allem "im Kinsky" (vormals Wiener Kunst Auktionen). Dort bot sich im Herbst vergangenen Jahres eine der eher selten gewordenen Möglichkeiten, bisherige Lücken in der Kollektion zu schließen: als aus dem Nachlass von Carl-Anton Goëss-Saurau und seiner Frau Marie, geborene Mayr-Melnhof, eine kleine Heerschar an Porzellanfiguren auf den Markt gelangte. Mehr als 20 fanden zum Gegenwert von knapp 30.000 Euro in der Sammlung Faltus eine neue Heimat: darunter eine um 1756 datierte Allegorie des Herbstes (504 Euro) oder auch das aus der Zeit um 1747/49 stammende Pärchen von Hanswurst und seine Partnerin (3528 Euro).

Mittlerweile nennt das Sammlerehepaar rund 500 Porzellan objekte ihr Eigen, darunter 360 Figuren aus dem 18. Jahrhundert, die in der 1718 gegründeten Wiener Porzellanmanufaktur gefertigt wurden.

Und ihnen hat man nun ein vor kurzem im Album-Verlag veröffentlichtes Buch samt kunsthistorischer Bearbeitung gewidmet: 300 Repräsentanten aus der Epoche des Rokoko bittet Autorin Annette Ahrens, langjährige Wegbegleiterin des Sammlerpaares, hier auf 432 Seiten vor den Vorhang, gestaltet als kulturhistorischer Streifzug durch die Sammlung, ergänzt um wissenswerte Hintergründe.

Es ist eine Publikation, die kapitelweise eine grundlegende Annäherung an die Thematik ermöglicht und zeitgleich eine Fülle an Informationen für Gleichgesinnte, aber auch die Fachwelt bereithält: etwa für Experten von Auktionshäusern, die allegorische Darstellungen nicht erkennen. Oder für Restauratoren, die mangels besseren Wissens noch heute Schlittschuhläuferinnen Rosensträußlein an die Hand "montieren". Tatsächlich hielten sie ursprünglich einen Ring, an dem sich Eislaufpartner festhielten, um sich gegenseitig zu ziehen, er-zählt Ahrens, eine ausgewiesene Expertin nicht nur für Silber und Porzellan, sondern vor allem für historische Tafelkultur. Denn dort, an fürstlichen oder höfischen Tafeln, nahm an der Wende zum 18. Jahrhundert alles seinen Anfang.

Enge Corsagen, phantasievolle Spitzen, aufwendige Goldbordüren und bunte Bänder: in unzähligen Details dokumentieren die Porzellanfiguren auch die modischen Trends des Rokoko.
Album Verlag, Studio Brodek, S. Menschhorn

Kostspielige Pracht

Je festlicher der Anlass, desto opulenter fielen die Inszenierungen damals aus, die nicht einmal annähernd mit heutigen Konzepten von Tischdekoration vergleichbar sind. Vor allem in der Zeit des Barock uferte der Aufwand zu regelrechten Spektakeln aus. Wenn etwa für den Dessertgang ein sogenanntes Gartenparterre mitsamt Springbrunnen und Wasserläufen gestaltet wurde, in dem selbst vermeintlicher Kies und kleine Figuren nicht fehlen durften.

Ein vergleichbares Arrangement, mit Porzellanfiguren auf Spiegelplateaus, schmückte anlässlich der Hochzeit Josephs II. mit Isabella von Parma im Oktober 1760 die Desserttafel des Diners im Redoutensaal der Wiener Hofburg. Das sei an Details auf dem in Schloss Schönbrunn verwahrtem Gemälde aus der Werkstatt Martin van Meytens erkennbar, erzählt Annette Ahrens.

Seit Maria Theresias Vermählung mit Franz Stephan von Lothringen galt am Wiener Hof die französische Manier. Das sogenannte "service à la française" verlangte nach einer Tafelmitte. Und diese wurde, laut Ahrens, mit "Surtouts aus Edelmetallen, mit Porzellanfiguren oder mit aufwendigen Schauspeisen aus Zuckermeißel-Arbeiten geschmückt".

Thematisch griffen sie mythologische Themen auf oder Namen mit Bezug zum Anlass. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts wurden sämtliche Elemente, sowohl architektonische als auch figür liche, von Zuckerbäckern hergestellt: aus Marzipan, Zucker, Karamell oder auch aus Tragant, einem pflanzlichen Klebemittel, das mit Zucker vermischt eine zähe und schnell härtende Masse ergab.

"Zeigt her Eure Füßchen!": Von der Liebe zum Detail zeugt auch die variantenreiche Fußbekleidung.
Album Verlag, Studio Brodek, S. Menschhorn

Für Naschkatzen mag derlei paradiesisch klingen, jedoch überdauerten solche Dekorationen oftmals nicht einmal das Bankett. "Alle diese Aufbutz mit Zucker, und Zierraten kann ich nicht leiden", monierte Maria Theresia die vergängliche und kostspielige Pracht. Per Resolution verfügte sie, "die kostbaren Penat-Zuckerarbeiten, und mühsame Erfindung Auszierung gedachten 1761 Jahres für ordinari abzuschaffen, und nur mit Porzellanfiguren und natürlichem Blum-Werck bedienet zu werden". Der 1718 in Wien gegründeten und seit 1744 in staatlichem Besitz befindlichen Porzellanmanufaktur verhalf dies zu einem Aufschwung der Produktion. Mit dem Ende der Tradition aufwendiger Tafeldekorationen, die immer einem gewissen Motto folgten, verloren solche Figuren allerdings ihren ursprünglichen Kontext. Mit dem Ergebnis, dass sie heute vielfach als kitschiger Nippes missverstanden werden. Dabei handelt es sich um Botschafter der höfischen Kultur, in denen sich historische Kleidungsvorschriften, Hofzeremoniell, Modetrends (u. a. Schuhe, Roben) oder auch die Geschichte des heimischen Straßenhandels spiegeln.

Wiener Straßenhandel

Sogar der "Zwiefelkrowot" hatte als Wanderhändler seinen Platz an der höfischen Tafel, ebenso das "Kästenweib", wie Maronibraterinnen genannt wurden, oder auch "Bratlbrater". Letztere erfüllten eine wichtige Funktion, da sie die Bevölkerung, von der sich ein großer Teil keine eigenen Herde leisten konnte, mit warmen Mahlzeiten versorgten.

All diese Gestalten gehörten zum Straßenbild der Residenzstadt Wien und sind auch auf zeitgenössischen Ölgemälden von Bernardo Bellotto oder Stichen von Salomon Kleiner dokumentiert, erzählt Annette Ahrens. Männer, Frauen, teils auch Kinder zogen durch die Straßen und boten mit einem für jede Sparte spezifischen Ruf ihre Ware oder Dienstleistungen feil, wovon sich auch die Bezeichnung "Kaufrufe" ("Cris de Vienne") ableitet: "Pfohna flick! Kessel! Pfohna" war etwa der für Kesselflicker spezifische, "An Oschn! An Oschn!" der dank Ferdinand Raimunds Aschenlied (Der Bauer als Millionär, 1826) bis heute geläufigste.

Neben der Seltenheit einer Ausformung, betont Hilde Faltus, sei eben der erzählerische Wert solcher Figuren ein wesentliches Kriterium. Ob ihre Sammlung je komplett sein wird? Nein, schon weil man ja nie wisse, welcher Auktionskatalog demnächst im Postkastl liegt "und dich mit einer bisher nie gesehenen Figur überrascht". (Olga Kronsteiner, Album, 23.12.2017)