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Foto: dpa/Daniel Karmann

Ausgerechnet in seiner Weihnachtsansprache feuerte Papst Franziskus eine Breitseite gegen die eigenen Macht- und Funktionseliten ab. Vor teils grimmig dreinblickenden Kardinälen der Kurie warf er "Verrätern" vor, seine Reform der Kurie zu hintertreiben, warnte vor Intrigen und "Komplotten kleiner Gruppen". Damit waren wohl jene Kardinäle gemeint, die ihn praktisch als Häretiker (Vertreter einer Irrlehre) bezeichnet hatten.

Solche Zustände an der Spitze scheinen keine ideale Voraussetzung für eine erfolgreiche "Verteidigung des Glaubens" zu sein, vor allem gegen einen expansiven und selbstbewussten Islam, der in den Augen vieler katholischer (protestantischer, orthodoxer) Gläubiger, aber auch eher glaubensferner Bewohner des Westens als akute Bedrohung empfunden wird.

Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass unter vielen Muslimen in Europa eine Tendenz zu bemerken ist, fordernder und aggressiver aufzutreten; dass eine Ablehnung der westlichen Liberalität an Boden gewinnt. Die wachsende Zahl der Kopftücher und die Umfragen, wonach etwa die Scharia über den Gesetzen des (Gast-)Landes stehen solle, sind da starke Indizien.

Für die meisten Christen ist das Christentum eine kulturelle Gewohnheit, nicht mehr; für die meisten Muslime in Europa der Islam aber ein Lebensprinzip. Das ist der – bedeutende – Unterschied.

Man kann die Hinwendung zu einem strikteren Islamverständnis aber auch als Zeichen einer inhärenten Schwäche sehen. Die muslimische Welt insgesamt ist eine Krisenzone. Sie ist geprägt von Kriegen, Bürgerkriegen und Glaubenskriegen. Während die asiatischen Staaten zu den Aufsteigern gehören, stagnieren die muslimischen Länder wirtschaftlich und wissenschaftlich. Rückständigkeit ist ein islamisches Merkmal. Aber auch die Muslime in Europa steigen nicht auf. Die (falsche) Reaktion darauf ist oft eine Rückwendung zu einem strikteren Islam. Falsch deshalb, weil sich argumentieren lässt, dass der Rückgriff auf eine absolutistisch verstandene, nicht hinterfragbare Religion ein Fortschrittshemmnis ist.

Die politische Rechte in Europa (und nicht nur sie) fürchtet jedenfalls einen Vormarsch des Islam und eine "Islamisierung". Was Österreich betrifft, so gibt es Projektionen (eine Studie des Vienna Institute of Demography), denen zufolge etwa in 30 Jahren die Muslime 17 Prozent der Bevölkerung ausmachen werden (gegenüber vier Prozent im Jahr 2001 und acht Prozent heute). Im Schrecken über diesen Zuwachs wird allerdings vergessen, dass die Konfessionslosen auf 24 Prozent steigen sollen. Heute sind es 17 Prozent, 2001 (letzte Volkszählung) waren es zwölf Prozent.

Die Säkularisierung bzw. "Dereligiosierung" ist also eine mindestens so starke Tendenz wie die "Islamisierung". Tatsächlich soll Papst Franziskus in kleinem Kreis von Österreichern bei einer Privataudienz gesagt haben, ihm bereite weniger die Expansion des Islam Sorgen als die indifferente Haltung der Katholiken zu ihrem Glauben. Kann es sein, dass hier das eigentliche Problem liegt? (Hans Rauscher, 22.12.2017)