Innenminister Herbert Kickl ist seit langem das Mastermind im Maschinenraum der FPÖ. Er gilt als talentierter Politiker, jedoch als schlechter Teamspieler.

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Karoline Edtstadler, die neue Staatssekretärin im Innenministerium, will sich nicht als Kickls Kontrollorin verstehen – zumindest sagt sie das. In Justizkreisen wird ihr die Aufpasserrolle zugetraut.

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Edtstadler und Kickl bei der Angelobung.

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Manchem Anfang wohnt eine Entzauberung inne. Montag nach der Angelobung, Festsaal des Innenministeriums: Die Kapelle bläst die letzten Töne einer jazzigen Version von "Let it Snow", die neue Staatssekretärin Karoline Edtstadler stellt sich ans Rednerpult. Sie zitiert Hesse ("Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne"), referiert ihren Lebenslauf, sagt, sie freue sich.

Eines sei jedoch nicht zu erwarten: "Ich sehe mich nicht als die Aufpasserin des Bundesministers, wie das medial kolportiert wurde." Und: "Ich sehe einer gedeihlichen Zusammenarbeit unter der Führung von Herbert Kickl entgegen." So manchem Beamten entschwand bei diesen Sätzen die letzte Hoffnung. "Sie fällt wohl in die Kategorie 'auch da'", ärgert sich ein Augenzeuge ob dieses ersten Auftritts. Aus der Kontrollfigur, die der Bundespräsident in das nun blaue Innenressort hineinreklamiert haben soll, war im Nu ein Leichtgewicht geworden.

Nach Edtstadler übernimmt Kickl, FPÖ-Chefstratege und neuer Minister, die Bühne. Mit einer leichtfüßigen Rede umgarnt der Kommunikationsprofi Polizisten und Bedienstete. Doch die Worte "Wertschätzung" und "Anerkennung" waren noch nicht verhallt, da macht er klar, wie er sein Amt anlegen will – weniger illegale Migration, keine "falsche Toleranz".

Und mit einem Satz entmachtet er die andächtig lauschenden Sektionschefs: Es werde ein Generalsekretär installiert, der sei jetzt ihr Vorgesetzter. Seine türkise Staatssekretärin erwähnt er nicht, nur nebenbei bezieht er sich auf etwas, das sie kurz zuvor gesagt hat: Ein "offenes Ohr" habe Edtstadler für alle im Haus, versicherte sie. "Nicht nur eines, Frau Kollegin. Beide Ohren werden wir offen haben", sagt Kickl und lächelt spitzbübisch.

Understatement als Kalkül

Edtstadlers Understatement, das sei alles Kalkül, erklärt ein Kurz-Vertrauter, der nicht genannt werden will. Kickl dürfe sich schließlich nicht beobachtet fühlen. Er klingt dabei ein wenig so, als müsse er sich mit seinen Worten selbst beruhigen. ÖVP-intern betrachtet man die Staatssekretärin als Risikoprojekt. Insbesondere deshalb, weil neben Herbert Kickl zu punkten eine nicht einfache Aufgabe ist. In der Branche gilt er als einer der talentiertesten heimischen Politiker – oder auch schrecklichsten Agitatoren. Je nachdem, wen man fragt.

In Justizkreisen wird auch Edtstadler vieles zugetraut. Sie hat sich einen guten Ruf als Strafrichterin am Landesgericht Salzburg, als Oberstaatsanwältin in der Korruptionsstaatsanwaltschaft und zuletzt als juristische Mitarbeiterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erarbeitet. So gut der Leumund in der Kollegenschaft ist, einer medialen Öffentlichkeit blieb sie bisher unbekannt – sieht man von einem Prozess im Jahr 2010 ab.

Damals zeigte Edtstadler Härte. Sie verdonnerte ein bis dahin unbescholtenes Brüderpaar, das bei einer Demonstration gegen die Asylpolitik der ÖVP einen Polizisten verletzt haben soll, zu einer derart hohen Strafe, dass sogar die Staatsanwaltschaft dagegen berief. Später hat das Oberlandesgericht Linz das Urteil in wesentlichen Punkten auch aufgehoben.

Grenzen zeigen

Und jetzt also Kickls Kontrollorin? "Ich könnte mir vorstellen, dass ihr das gelingt", sagt ein Richter, der Edtstadler kennt. Sie traue sich, in Konflikte zu gehen, stehe für ihre Meinung ein und sei noch dazu in der ÖVP gut vernetzt.

Edtstadler gefällt diese Etikettierung wenig. Es habe keinen Sinn, "gegeneinander zu arbeiten". Den Umgang mit Kickl beschreibt die Staatssekretärin als "angenehm" und "freundschaftlich". Als Aufpasserin will sie sich nicht verstanden wissen: "Ich werde meine Möglichkeiten nutzen, darauf hinzuweisen, wo die Grenzen sind", sagt sie zum STANDARD.

Tatsache ist: Kickl gilt auch in seiner Partei als "extrem". Nicht ideologisch, sondern darin, wie er Dinge angeht. Den Iron Man absolviert der mittlerweile 49-Jährige in unter elf Stunden, vor vier Jahren nahm er am schottischen Celtman teil: 3,8 Kilometer Schwimmen im eisigen Atlantik, 180 Kilometer Fahrradfahren auf 4000 Meter bei Sturm, dann ein Marathon. "Was er macht, macht er nicht voll, sondern voll-voll", sagt ein Blauer. "Er ist unser Top-Manager."

Zur FPÖ fand Kickl erst spät. Er wurde in eine Kärntner Arbeiterfamilie geboren. Politik sei zu Hause kein Thema gewesen, sagt er selbst. Auch seine frühere Schulkollegin, die ehemalige Grünenchefin Eva Glawischnig, die schon häufig zu ihrem ungleichen Klassenkameraden von einst befragt wurde, hätte sich damals nie gedacht, dass er bei einer rechten Partei landen würde, wie sie stets beteuerte: "Obwohl, er hatte damals schon eine auffällige Vorliebe für Bundesheerhosen", erinnert sie sich in einem Interview.

Ein Studienkollege war es, der Kickl ins blaue Boot holte. Johannes Berchtold, heute Leiter der Männerabteilung im Sozialministerium, war damals in der freiheitlichen Akademie tätig und besuchte mit Kickl Philosophie-Vorlesungen. Sein Kommilitone brauchte einen Job, da nahm er ihn mit. Kickl habe dort recht schnell sein Talent bewiesen, erinnern sich Blaue, die ihn von damals kennen: "Der Herbert hat einen scharfen Verstand, aber gleichzeitig einen sehr bodenständigen und pragmatischen Zugang", sagt ein Parteifreund. Es dauerte nicht lange, da stieg er zum persönlichen Referenten und dann Redenschreiber Jörg Haiders auf. Später dachte er sich für die Partei Sprüche wie "Daham statt Islam" und "Pummerin statt Muezzin" aus.

Steile juristische Karriere

Der berufliche Werdegang von Karoline Edtstadler ist ein ganz anderer. Aufgewachsen ist die 36-Jährige in Elixhausen in Salzburg. Ihr Vater war zwar als Sekretär der Landeshauptmänner Hans Lechner und Wilfried Haslauer senior im politschen Geschäft, vorgezeichnet war dieser Weg der Tochter dennoch nicht. Mit 19, Edtstadler steckte gerade in den Anfängen ihres Jusstudiums, wird sie schwanger. Sohn Leonhard ist mittlerweile 16 – und lebt bei den Großeltern. Die Mutter pendelt.

Der steilen juristischen Karriere steht ein bescheidener Erfahrungsschatz als Politikerin gegenüber. Edtstadler arbeitete im Kabinett des ehemaligen Justizministers Wolfgang Brandstetter. Sie war zirka zwei Jahre Gemeinderätin in der Salzburger Gemeinde Henndorf am Wallersee. Bürgermeister Rupert Eder erinnert sich: "Sie war nett, angenehm im Umgang und zielstrebig." Aufgefallen sei sie auch schon aufgrund ihres Alters: "Wir sind ja nicht mit jungen Gemeindevertretern gesegnet." Edtstadler habe "ihre Tätigkeit immer sehr ernst genommen".

Im Vergleich zu Politprofi Kickl ist das alles nichts. Der Philosoph, dessen Studienabschluss an den letzten Kapiteln seiner Diplomarbeit scheiterte, ist das Mastermind der FPÖ. Bei den Regierungsverhandlungen wurde er vom türkisen Gegenüber als der blaue Strippenzieher wahrgenommen. Schon lange gilt er als das Hirn der Partei. Manche spötteln: das Hirn des Parteichefs. Tatsächlich waren Heinz-Christian Strache und er ein eingespieltes Duo. Strache liebt die Aufmerksamkeit, Kickl saß lieber im Maschinenraum der Macht.

Dass Edtstadler einmal in einer Regierung sitzen könnte, hat sich so mancher Weggefährte gedacht. Verwunderung herrscht nur darüber, dass es in einer Koalition mit der FPÖ ist. "Man muss auch anerkennen, dass es eine demokratisch legitimierte Partei ist, die von fast 30 Prozent der Österreicher gewählt worden ist", sagt sie dazu. Dass es Irritationen geben könnte, war früh klar: "Ich verhehle nicht, dass ich im Ausland – etwa von meinen Kollegen in Straßburg – durchaus angefeindet wurde, dass so eine Partei in Regierungsverantwortlichkeit kommt. Man muss aber auch bedenken, dass die FPÖ in der Opposition noch eine ganz andere Rolle hatte als jetzt."

Sie sei eine "Garantin für die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit", befindet die 36-Jährige. Und wie hält sie es damit, dass kürzlich der neue FPÖ-Klubchef, Johann Gudenus, Massenlager an der Stadtgrenze für Asylwerber gefordert hat? Sie kenne diese Äußerung nur aus den Medien. Aus der Zeit, wo sie in Frankreich gelebt habe, wisse sie, "dass ein Abdrängen an den Rand einer Stadt zu keiner Lösung führt und Probleme eher verschärft".

Nun an der Front

In Kickls Umfeld sind die Meinungen gespalten, ob es eigentlich schon immer sein Ziel war, irgendwann an die Front zu gehen – oder ob er sich von Strache zum Innenminister bitten ließ, weil der einen engen Vertrauten auf den Posten setzen wollte. Schon bei Kickls Wechsel von Haider zu Strache gibt es jene, die meinen, Kickl habe Haiders Kurs nicht mehr gefallen, und andere, die sich sicher sind, dass Strache ihm mit der Aussicht auf den FPÖ-Generalsekretär einfach das attraktivere Angebot gemacht hatte.

Die Büros von Edtstadler und Kickl grenzen direkt aneinander. Wenn man auch politisch weit auseinanderliegt, es wären kurze Wege. Bisher habe man sich mehrmals am Tag gesehen und Meinungen ausgetauscht, sagt die neue Staatssekretärin.

Wie Kickl tickt, zeigt auch die Wahl des ehemaligen unzensuriert.at-Gründers Alexander Höferl zum Kommunikationschef, die für gehörigen Wirbel gesorgt hat. unzensuriert.at wird vom Verfassungsschutz als "zum Teil äußerst fremdenfeindlich" eingestuft. Bei diesem Punkt lässt Edtstadler die freundliche Zurückhaltung kurz fallen. Es sei Sache des Ministers, sich sein Team auszusuchen, aber: "Die medialen Reaktionen zeigen, dass die Entscheidung kritisch gesehen wird und wohl auch nicht besonders diplomatisch war."

Dass Kickl kein guter Teamspieler sei, bescheinigen ihm selbst Parteikollegen. Im Hintergrund fühle er sich wohl, soll er einmal gesagt haben. "Denn hier werden die Torpedos geladen" – jetzt vielleicht auch auf offener Bühne. (Peter Mayr, Katharina Mittelstaedt, 23.12.2017)