Holocaust-Überlebende bei einer Gedenkfeier in Mauthausen.

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Wien – Nachfahren von NS-Opfern sollen Doppelstaatsbürger werden können: Mit dieser Ankündigung hat die türkis-blaue Koalition aufhorchen lassen. Ansonsten hegen ÖVP und FPÖ, von der Südtirol-Frage abgesehen, ja eher wenig Sympathie für Doppelpässe.

Worin nun aber die Neuerung bestehen soll, ist unklar: Möglich ist es den Nachfahren von NS-Vertriebenen nämlich schon jetzt, sich einen österreichischen Pass zu besorgen. Ein entsprechender Passus im Staatsbürgerschaftsgesetz stammt von 1993, er richtet sich an Opfer des Nationalsozialismus, die vor dem 9. Mai 1945 geflüchtet sind, aber auch an Opfer des Austrofaschismus. Österreich geht davon aus, dass sie trotz ihrer Einbürgerung im Zielland weiter Österreicher geblieben sind – zumal die Annahme der neuen Staatsbürgerschaft in einer Zwangslage geschah.

Grundsätzlich wird die Staatsbürgerschaft in Österreich vererbt. Darum haben auch im Ausland geborene Kinder dieser geflüchteten Österreicher die österreichische Staatsbürgerschaft, sie müssen sie allerdings vor einer österreichischen Behörde feststellen lassen.

Es gibt aber Einschränkungen. Wer sich erst nach 1955 im Zielland einbürgern ließ, habe dies nicht aus Zwang, sondern freiwillig getan, so die Annahme der Behörden. Er oder sie hat somit die österreichische Staatsbürgerschaft quasi verspielt. Dasselbe gilt, wenn jemand freiwillig den Militärdienst eines anderen Landes abgeleistet hat. Die Behörde muss also immer die Umstände des Einzelfalls prüfen, das kann in manchen Fällen langwierig sein.

Frauen benachteiligt

Rechtlich handelt es sich um keine Einbürgerung, sondern nur um eine Feststellung, dass man bereits österreichischer Staatsbürger ist. Jene Hürden, die für alle anderen Einbürgerungswillige gelten – Deutschkenntnisse, Einkommensnachweis, Mindestaufenthalt -, müssen deshalb nicht übersprungen werden.

Trotzdem steht die Tür nicht allen Nachfahren offen. Besondere Probleme bereitet das alte, patriarchal geprägte Staatsbürgerschaftsrecht, das in Österreich bis 1985 galt: Frauen, die einen ausländischen Mann heirateten, übernahmen mit der Eheschließung automatisch dessen Staatsangehörigkeit. Das galt auch für geflüchtete Frauen – und das brachte sie, wie auch ihre Nachfahren, in vielen Fällen um die österreichische Staatsangehörigkeit.

Die Frage, was die Koalition nun konkret ändern will, können derzeit weder das Kanzleramt noch die ÖVP beantworten. Die ÖVP verweist den STANDARD aufs FPÖ-geführte Innenministerium, aber auch dort war ein Sprecher bis Redaktionsschluss nicht in der Lage, eine Antwort zu geben.

Das Interesse an einem österreichischen Zweitpass sei unter Nachfahren von NS-Opfern in den vergangenen 15 Jahren relativ konstant geblieben, sagt der auf diese Rechtsmaterie spezialisierte Wiener Rechtsanwalt Elmar Drabek von der Kanzlei Dorda in Wien zum STANDARD. Nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA seien die Anfragen aus den Vereinigten Staaten jedoch sprunghaft angestiegen. (Maria Sterkl, 23.12.2017)