Alle Jahre wieder: Die ORF-Spendenmaschinerie schnurrt, Generaldirektor Alexander Wrabetz begibt sich selbst ans Telefon. Dabei wünschen sich Behinderte mehr als Almosen.

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Ein ungewöhnliches Casting, ein ungewöhnlicher Spot: Eine Frau begegnet einem Rollstuhlfahrer, streckt ihm die Hand hin, er sagt, dass er ihr leider nicht die Hand geben kann, sie ist überrascht, aber so kommen sie ins Gespräch. Eine junge Frau trifft einen jungen Mann. Sie fragt ihn, ob er auch eine Behinderung habe. Er sieht sie verwundert an, da sagt sie ihm, dass sie blind ist. Unerwartete Begegnungen. Aus Unsicherheit entstehen Gespräche und vielleicht sogar Freundschaften.

Am Ende des Spots heißt es: Jede Begegnung kann ein Anfang sein. Ein neuer Spot der Aktion Licht ins Dunkel? Leider nein. Es ist einer von zahlreichen Spots der deutschen Aktion Mensch, berührend, authentisch, ohne Mitleid.

Eigenwerbung statt Bewusstsein zu schaffen

Im offiziellen "Licht ins Dunkel"-Trailer finden keine Begegnungen mit Menschen mit Behinderungen statt. Alleine Nina Proll wirbt für eine Spenden-CD mit vielen Stars. Statt Bewusstsein zu schaffen, wie es die Aktion Mensch macht, setzt der ORF auf Eigenwerbung. Auch A1 klopft sich als langjähriger Technologie-Partner von Licht ins Dunkel auf die Schulter: Untermalt von getragener Musik sieht man Mitarbeiter im Callcenter, lachende behinderte Kinder und die nach oben schnellende Spendensumme.

Am Ende des Spots heißt es: "Du kannst Hoffnung schenken, du kannst alles!" Gut, dass A1 Licht ins Dunkel unterstützt. Aber wäre es nicht sinnvoller, wenn A1 im Callcenter Menschen mit Behinderungen beschäftigen würde? Zu sehen ist es jedenfalls nicht.

Kritik an Rekordjagd

Behindertenvertreter kritisieren seit vielen Jahren, dass Licht ins Dunkel von einem Rekord der Spendenergebnisse zum nächsten hetzt. Sinnvoller wäre es, wenn die Unternehmenspartner Menschen mit Behinderungen beschäftigten oder in ihren Unternehmen das Geld für Barrierefreiheit einsetzten. Auch eine vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegeben Studie zur Darstellung behinderter Menschen in den Medien 2015/16 übt massive Kritik an der Aktion Licht ins Dunkel:

  • Mit der Aktion Licht ins Dunkel hat der ORF in den letzten 45 Jahren das gesellschaftliche Bild von Menschen mit Behinderungen wesentlich geprägt. Aber nicht unbedingt im positiven Sinn: Im Vordergrund stehen sie als Almosen- und Fürsorgeempfänger.

  • Die häufig gewählte Darstellungsform von Menschen mit Behinderungen als Bittsteller und Opfer widerspricht einer würdevollen Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen und lässt vorherrschende Barrieren in der Gesellschaft unkommentiert und unverändert.

  • Menschen mit Behinderungen sollten im Programm sichtbarer werden, z. B. als Moderatoren, Experten, Studiogäste und Mitarbeiter. Gefordert wird die Partizipation von Menschen mit Behinderung bei der Gestaltung und der Programmentwicklung ähnlich der Aktion Mensch.

Eine wesentliche Weiterentwicklung kann man der Kampagne Licht ins Dunkel in den letzten Jahren zwar zugestehen: Es gibt Moderatorinnen im Rollstuhl, die Sendung wird untertitelt, und es gibt Gebärdensprachdolmetschung. Aber der große, dringend erforderliche Paradigmenwechsel, der bei der vergleichbaren deutschen Aktion Mensch stattgefunden hat, ist ausgeblieben.

Aktion Sorgenkind

Die ursprüngliche Aktion Sorgenkind war eine Marke mit 100 Prozent Bekanntheitsgrad, aber verbildlichte ein diskriminierendes Klischee, denn behinderte Menschen wollten nicht länger als Sorgenkinder dargestellt werden. Im Jahr 2000 wurden Menschen mit Behinderungen in die Führung der Aktion aktiv eingebunden. Die Folge war nicht nur eine Markenänderung zur Aktion Mensch, sondern auch eine inhaltliche Neuausrichtung zu mehr Vernetzung, Förderung von inklusiven Projekten und der gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung.

Vorsitzender Armin v. Buttlar sagt heute, dass die Namensänderung ein großer Gewinn war. Durch die Einführung des neuen Markennamens musste auch der gesellschaftliche Paradigmenwechsel, weg von Almosen, Fürsorge und Mitleid hin zu Barrierefreiheit, Inklusion und selbstbestimmtem Leben, kommuniziert werden. Auch die Marke Licht ins Dunkel ist gut eingesessen, aber nicht mehr zeitgemäß: Menschen mit Behinderungen, die im Dunkeln sitzen und auf die lichtbringenden Spender warten, widersprechen dem Selbstbild von Behinderten und auch der UN-Behindertenrechtskonvention.

ORF-Kampagne ohne Betroffene

Der "Licht ins Dunkel"-Gründer, Ernst Wolfram Marboe, sagte einst: "Licht ins Dunkel gehört zu Weihnachten wie der Guglhupf zum Kaffee." Allein man könnte auch einmal jene zum Guglhupfessen einladen, über die man 45 Jahre nur gesprochen hat.

Die ORF-Kampagne hat mit den hohen Einschaltquoten ein großes Potenzial, das Bild von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft zu verändern. Nicht nur zu Weihnachten, auch unterm Jahr. Andere Spots, andere Initiativen, Vernetzung und Information ähnlich dem deutschen Vorbild wären möglich.

Auch sollte der ORF behinderte Journalisten ausbilden und in die Redaktionen inkludieren. Wären eine blinde Radiomoderatorin oder ein "ZiB 2"-Präsentator im Rollstuhl unmöglich? Oder könnte nicht ORF-Online von Redakteuren mit Lernbehinderungen in einfacher Sprache gestaltet werden? Wünschen darf man sich etwas, es ist ja Weihnachten! (Franz-Joseph Huainigg, 27.12.2017)