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Vladimír Špidla (66) ist Historiker. Von 2002 bis 2004 war der Sozialdemokrat tschechischer Premierminister, danach EU-Kommissar für Soziales.
Foto: Reuters / Scanpix Sweden

STANDARD: Welche emotionale Bedeutung hatte für Sie die Teilung der Tschechoslowakei vor 25 Jahren?

Špidla: Ich habe sie als herben Verlust empfunden, als Verlust meines Heimatlandes. Dennoch war ich innerlich weit weniger erschüttert als 1968 durch die sowjetische Okkupation. Das war damals ein einschneidender Moment, der mir gezeigt hat, dass nichts im Leben sicher ist.

STANDARD: Warum haben Václav Klaus und Vladimír Mečiar, die Regierungschefs der beiden Teilrepubliken, die Trennung vorangetrieben?

Špidla: Beide sind in beträchtlichem Maße egozentrische Persönlichkeiten, und beiden ging es um Macht. Ganz nach dem Motto: Es ist besser, der erste Mann im Dorf zu sein als der zweite Mann in Rom.

STANDARD: Heute hört man aber oft, dass das Verhältnis zwischen Tschechen und Slowaken nun besser sei als vor der Teilung. Wie war damals die Stimmung im Land?

Špidla: Die Gesellschaft war gegen die Teilung, aber passiv. Viele haben sich für ein Referendum ausgesprochen, das aber nicht stattfand. Der für mich wichtigste Aspekt dabei: Wenn es ein Referendum gegeben hätte, dann hätte sich die Tschechoslowakei in gewisser Weise neu gründen können. Und zwar auf Basis ihrer inneren Dynamik, und nicht auf Basis irgendeiner äußeren Dynamik wie im Jahr 1918.

STANDARD: Zur Zeit der Teilung tobten auf dem Balkan blutige Zerfallskriege. Gab es diese Sorge auch in der Tschechoslowakei?

Špidla: Nein, das war eine völlig andere Welt. Fast in der gesamten Geschichte des Balkan gab es zwischen den Völkern dort viel Blutvergießen. Zwischen Tschechen und Slowaken gab es das nie.

STANDARD: Im Jahr 2004 traten beide Länder der EU bei. War das für die Menschen, die durch die Trennung Nachteile hatten, auch eine Art Wiedervereinigung?

Špidla: Der gemeinsame EU-Beitritt war hier sicher sehr hilfreich. Aber der Beitritt der Slowakei zur Eurozone (2009, Anm.) war für mich das definitive Ende der Tschechoslowakei. In Tschechien wird die Euro-Einführung wohl leider noch etwas dauern. Die Slowakei geht bereits andere Wege als wir.

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Iveta Radičová (61) ist Soziologin. Von 2010 bis 2012 war die Christdemokratin Premierministerin der Slowakei. Heute ist sie Uni-Dekanin in Bratislava.
Foto: AP / dapd / Petr David Josek

STANDARD: Welche emotionale Bedeutung hatte für Sie die Teilung der Tschechoslowakei vor 25 Jahren?

Radičová: Die Identität des Menschen ist auch durch den Staat geprägt, in dem er lebt. Und das war für mich die Tschechoslowakei. Gleichzeitig war klar, dass sich in der damals bestehenden Föderation einiges ändern muss. In der Frage der Trennung war ich eine der Organisatorinnen der Kampagne für ein Referendum.

STANDARD: Nehmen wir an, ein solches Referendum hätte stattgefunden: Was sagen Sie als Soziologin zum wahrscheinlichen Ausgang?

Radičová: Die Umfragen, die wir damals gemacht haben, zeigten, dass sowohl auf tschechischer als auch auf slowakischer Seite eine klare Mehrheit gegen eine Trennung war. Das setzte sich auch nach der vollzogenen Teilung noch fort. Eine positivere Haltung zur slowakischen Eigenstaatlichkeit kam dann erst nach dem Ende der Ära Mečiar, als sich das Land von dem tiefen Fall erholte, der uns damals an den Rand des Bankrotts gebracht hatte.

STANDARD: Warum haben Václav Klaus und Vladimír Mečiar, die Regierungschefs der beiden Teilrepubliken, die Trennung dennoch vorangetrieben?

Radičová: Ihre Standpunkte waren überaus verschieden. Vor allem die ökonomischen Reformen von Klaus waren den Konzepten Mečiars diametral entgegengesetzt. Zudem waren die politischen Landschaften auf beiden Seiten unterschiedlich. Auch das Wahlergebnis 1992 fiel entsprechend heterogen aus. Eine föderale Regierung hätte praktisch Ergebnis von "Koalitionsverhandlungen" zwischen zwei völlig verschiedenen politischen Szenen sein müssen.

STANDARD: Im Jahr 2004 traten beide Länder der EU bei. War das eine Art Wiedervereinigung?

Radičová: Voraussetzung für den Beitritt beider Länder war die Erfüllung von grundlegenden Kriterien wie Gleichheit vor dem Gesetz, soziale und ökonomische Rechte, Bürgerrechte. Das schuf natürlich ähnliche Rechtssysteme. Unterschiede kamen dann wieder mit den verschiedenen Regierungen. Und da gab es in beiden Ländern bisher wenig Kontinuität.