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Platon-Statue in Athen. Der griechische Philosoph stellte bisweilen erstaunliche Fragen und lieferte überraschend zeitgemäße Antworten.

Foto: AP/Dimitri Messinis

Warum hat die Erde keine Beine? Gibt es einen Kosmos oder viele? Warum werden Menschen krank? Es sind Fragen wie diese, die sich vom kosmischen Ursprung bis zur menschlichen Natur spannen, denen Platon in seinem in Dialogform verfassten Text "Timaios" nachgeht.

Der Hauptprotagonist und Namensgeber des Textes ist Timaios von Lokroi, dessen naturphilosophischer Vortrag einen faszinierenden Einblick in antike Vorstellung zu Entstehung und Beschaffenheit des Kosmos gibt, die die Menschheit jahrhundertelang geprägt haben. Es ist gewissermaßen eine über 2.000 Jahre zurückreichende Zeitreise zu den Anfängen eines Forschungsfeldes, das wir heute Kosmologie nennen.

Grenzen des Zumutbaren

In der nun vorgelegten Übersetzung von Manfred Kuhn wird auf eine möglichst wortgetreue Wiedergabe des griechischen Originals wert gelegt. Eine Folge davon ist, dass – wie Kuhn selbst feststellt – die Übersetzung "an vielen Stellen die Grenzen dessen berührt, was der deutschen Gegenwartssprache noch zuzumuten ist". Den Leserinnen und Lesern soll dafür die Möglichkeit gegeben werden, "sich den fremden, vor knapp zweieinhalb Jahrtausenden niedergeschriebenen Vorstellungen, Bildern und Gedanken öffnen zu können".

Diese Einblicke sind aus heutiger Sicht bisweilen äußerst erstaunlich. Das beginnt schon mit den Fragen, die Platon im "Timaios" aufwirft. Etwa, wie sich die Kugelgestalt des Kosmos erklären lässt. Laut Platon kommt diese daher, dass die Kugel die "vollkommenste von allen Gestalten" ist, und Gott, dem Schöpfer, somit "am ähnlichsten" ist. Und er meine, dass "das Ähnliche tausendfach schöner sei als das Unähnliche".

Kugel oder Ellipsoid?

Platon hat damit einen ersten einflussreichen Stadtpunkt bezogen in einer Frage, über die sich Astronomen bis heute streiten. Die Kugelform des Universums gilt immer noch als eine der plausibelsten Annahmen – zwar weniger begründet durch göttliche Geschmacksurteile, sondern aufgrund der Urknalltheorie, die ein kugelförmiges Universum wahrscheinlich macht. Auch eine Ellipsoid-Form kann allerdings aktuell nicht ausgeschlossen werden.

Zurück zu Platon: Er stellt weitere Fragen, die wohl eher wenigen zeitgenössischen Astronomen in den Sonn kamen, etwa: Warum hat die Erde keine Beine und Füße? Platon begründet dies mit der Umlaufbewegung der Erde: "Weil es für diesen Umlauf keinerlei Füße bedarf, schuf er [sie] ohne Beine und Füße."

Herrschaft über den Körper

Die naturphilosophischen Betrachtungen über den Kosmos und die Erde machen aber auch vor dem Menschen nicht halt. Zumindest ein Körperteil des Menschen teilt die Kugelform mit dem Kosmos und Erde: der Kopf. So sei auch zu erklären, warum der Kopf am "göttlichsten ist und über alles in uns herrscht".

Erstaunlich detailliert rollt Platon weiters sämtliche Funktionen des Körpers auf, etwa ist hier von der Wirkungsweise der Milz ebenso zu lesen, wie von der Beschaffenheit der Fingernägel. Es werden nicht nur verschiedene Erkrankungen des Körpers besprochen, sondern auch verschiedene Therapieansätze.

Zeitgemäße Empfehlungen

Die Empfehlungen, mit denen der Autor dabei aufwartet, lesen sich teils wiederum äußerst zeitgemäß, wenn er etwa den Menschen, die geistiger Arbeit nachgehen, rät, Gymnastik zu treiben und jenen, die körperlich tätig sind, zum Ausgleich geistige Aktivitäten empfiehlt. Oder wenn er vor Medikamentenmissbrauch warnt: "Denn alle Krankheiten, die keine große Gefahr bedeuten, sollte man nicht mit Arzneimitteln aufreizen."

Insgesamt ist die vorliegende Übersetzung von Platons "Timaios" ein Buch, das immer wieder ins Staunen versetzt – teils darüber, welch abstruse Fragen sich die alten Griechen gestellt haben, teils darüber, welch überraschend zeitgemäße Antworten sie darauf wussten. Durch eine ausführliche Lesebegleitung zum Text wird es den Leserinnen und Lesern ermöglicht, den Inhalten der mitunter etwas sperrigen Übersetzung zu folgen – alles in allem also eine gelungene Zeitreise. (Tanja Traxler, 1.1.2018)