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Die U-Bahn-Stationen in Südkorea sind so tief in die Erde gebaut, dass die Bevölkerung im Fall eines nordkoreanischen Angriffs dort Schutzeinrichtungen vorfinden kann.

Foto: REUTERS/Kim Hong-Ji

Woo Seung-yep verdient sein Geld damit, in Büchern und im Fernsehen Tipps für den Ernstfall zu geben.

Foto: Fabian Kretschmer

Woo Seung-yep bereitet die Südkoreaner auf einen Angriff aus dem Norden vor. Vor wenigen Jahren noch wurde er als Hysteriker bezeichnet. Mittlerweile schenken seine Landsleute ihm Beachtung. Ein Gespräch mit dem selbsternannten ersten "Prepper " des Landes.

Es war im September 1996, als ein nordkoreanisches U-Boot nahe der Küstenstadt Gangneung andockte und zunächst unbemerkt ein 25-köpfiges Spionageteam an Land schickte. Woo Seung-yep leistete damals seinen Wehrdienst in einer Spezialeinheit ab. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd nach den Eindringlingen aus dem Norden durchkämmte er mit seinen Kameraden den gebirgigen Küstenstreifen.

Nach 49 Tagen waren die Invasoren gefasst, doch zuvor kamen bei mehreren Schusswechseln zwölf Nordkoreaner und acht Südkoreaner ums Leben. Für Woo war dies ein einschneidendes Erlebnis: "Davor habe ich nie ernsthaft über Krieg nachgedacht. Krieg war etwas, das ich höchstens von den Nachrichten auf dem Fernsehschirm kannte", sagt der heute 44-Jährige. Seit damals beschäftigt sich Woo mit der Frage, wie er sich und seine Familie im Falle eines Ernstfalls schützen kann.

Vom Interesse zur Obsession

Doch Antworten fand der gelernte Informatiker keine – weder bei den desinteressierten Behörden noch unter seinen entnervten Freunden. Die Bedrohung schien unterdessen weiter anzuwachsen. Nordkorea hatte mittlerweile ein Atomprogramm vorangetrieben und testete regelmäßig Raketen. Woos Landsleute jedoch blieben gelassen. Also nahm er die Dinge in die eigene Hand. Zunächst kaufte Woo Seung-yep Essensrationen für mehrere Wochen und informierte sich über den nächstgelegenen Luftschutzbunker. Später lernte er, wie man mit Chlorbleiche Wasser reinigt, und kaufte sich für den Fall eines Giftgasangriffs eine Gasmaske. Das anfängliche Interesse wurde zur Obsession. Jeder weitere Atomtest, jede weitere Naturkatastrophe schien Woo Seung-yep zu bestärken.

Vor sechs Jahren schließlich kündigte er seinen Job als IT-Manager: "Ich fühlte eine Art Pflichtgefühl, mein Wissen weiterzugeben und die Leute zu informieren. Seitdem bin ich der erste Prepper in Korea." Zwei Bücher hat er verfasst, sie handeln von Überlebensstrategien bei einem nuklearen Ernstfall. Er hält Vorträge an Grundschulen, arbeitet mit Feuerwehrwachen zusammen und wird von Fernsehsendern interviewt.

Zudem leitet Woo ein Onlineforum mit über 20.000 aktiven Mitgliedern. Derzeit beschäftigt die Nutzer dort vor allem ein Thema: Wird der US-Präsident einen Präventivschlag gegen Nordkorea starten? Falls ein Atomkrieg ausbricht, was kann man tun? Lohnt es sich, seine eigene Schutzunterkunft zu bauen?

Das Wort Prepper leitet sich vom Englischen "prepared" ab – also jederzeit bereit zu sein. Die Bewegung stammt vornehmlich aus den USA und geht auf den Kalten Krieg zurück, als ein Atomkrieg mit der Sowjetunion nah schien. In Südkorea gibt es neben der Nuklearbedrohung jedoch auch weitere Bedenken. Das Land hat in den letzten Jahrzehnten fast alle gesellschaftlichen Bereiche der wirtschaftlichen Entwicklung untergeordnet. Dabei sind nicht zuletzt Sicherheitsvorschriften vernachlässigt worden.

Notfallrucksäcke

Die Rate an Industrieunfällen ist höher als in jedem anderen OECD-Land. Alle Tragödien hatten sowohl die Missachtung von Sicherheitsstandards als auch schlechtes Rettungsmanagement der Behörden gemein. "Die größte Sorge derzeit ist allerdings die vor einem Krieg", sagt Woo. Vor wenigen Jahren noch sei er von seinen Landsleuten als Hysteriker und Kriegshetzer diffamiert worden.

Seit sich die Nordkorea-Krise jedoch unter Donald Trump und Kim Jong-un verschlimmert habe, werden Leute wie er ernst genommen. Einige Unternehmen schenken ihren Angestellten Notfallrucksäcke mit Taschenlampen, Reisrationen und Transistorradios. Zudem hat die Regierung zivile Notfallübungen ausgeweitet. Woo Seung-yep lebt südwestlich der Hauptstadt in Pyeongthaek, nur wenige Kilometer vom größten US-Militärstützpunkt Ostasiens entfernt. Jeden Tag hört er die Kampfflugzeuge und Helikopter. "Wenn es zu einem Krieg kommt, dann wird Nordkoreas erster Angriff sicher genau dort einschlagen", sagt Woo. Besorgt sei er schon, aber Angst mache ihm das Szenario nicht: "Ich bin ja so gut wie möglich vorbereitet." (Fabian Kretschmer aus Seoul, 6.1.2018)